Vera Pembroke

Vera Pembroke

“Aber selbstverständlich werde ich mich um Ihre Tochter kümmern. Als sei sie meine eigene.”

(Vera Pembroke)

 

Baby-Farmerin

Im Viktorianischen England gibt es viele Frauen, die wie Mrs. Pembroke unehelich geborene oder aus anderen Gründen unerwünschte Babys ”in Pflege nehmen” – für ein hübsches Sümmchen, versteht sich. Solche Leute nennt man Baby-Farmer. Während die im folgenenden vorgestellte Mrs. Vera Pembroke eine erfundene Gestalt ist, sei betont, dass es derartige Baby-Farmer aber tatsächlich gegeben hat.

Hausmädchen, Prostituierte und sogar Damen aus gutem Hause geraten mitunter in Verlegenheit. Abtreibungen sind in mehr als nur einer Hinsicht ein großes Risiko, so dass viele Frauen das unerwünschte Kind austragen. Während der letzten Monate der Schwangerschaft verstecken sich die Frauen oft in billigen Absteigen oder ziehen sich ”zur Erholung” auf ein abgelegenes Landhaus zurück, um nicht ins Gerede zu kommen. Die Niederkunft erfolgt nur sehr selten in Krankenhäusern, da diese über Geburten Buch führen. Es gibt jedoch verständige Ärzte, die für ein Entgelt eine Totgeburt ins Register eintragen. Auf dem Lande gibt es eine Reihe diskreter ”Pensionen”, in denen die Schwangere zumindest den Beistand einer Amme erhält. Dennoch sterben manche dieser Frauen im Kindbett, weil die medizinische Versorgung unzureichend ist.

Nach der Niederkunft wird das Neugeborene manchmal an der Waisenhauspforte oder auf der Kirchenschwelle ausgesetzt, meistens jedoch in Pflege gegeben. Es gibt durchaus redliche Agenturen und Vermittler, die versuchen, für die Säuglinge ein liebevolles oder doch pflichtbewusstes Heim zu finden. Die Mütter der Babys erfahren normalerweise nicht, wohin ihr Kind vermittelt wird, sie müssen sich mit der Auskunft zufrieden geben, das Kind werde stets gut zu essen haben und von anständigen Christen aufgezogen werden. Es ist üblich, dass die Pflegefamilien dafür, dass sie das Kind aufnehmen, eine einmalige Prämie oder aber regelmäßige Zahlungen erhalten. Es gibt Familien, die bis zu einem halben Dutzend solcher Kinder haben und praktisch ganz von diesem ”Geschäft” leben. Manche dieser Pflegeeltern halten ihren Teil der Abmachung ein und geben den Kindern ein gutes Zuhause, andere gestehen den Pfleglingen kaum das Allernötigste zu und haben daher einen gewissen ”Schwund”.

Mrs. Pembroke ist jedoch eine besonders hartgesottene Frau. Die Babys, die ihr anvertraut werden, enden nicht in den Armen der versprochenen liebevollen Pflegeeltern, sondern werden irgendwann, wenn nicht mehr die Gefahr besteht, dass die unglückliche Mutter ihr Kind zurückhaben möchte, mit einem Kissen erstickt und im Keller oder Garten beerdigt. Mrs. Pembroke hat in ihrem Haus manchmal bis zu einem Dutzend Säuglinge. Die Babys machen einen verwahrlosten Eindruck, da Mrs. Pembroke nur unregelmäßig die Windeln wechselt. Viele Babys sind wund, krank und abgemagert. Sie erhalten in Gin getunkte Nuckel, damit sie durchschlafen und nicht so viel schreien.

Um eventuellen Nachforschungen aus dem Wege zu gehen, wechselt Mrs. Pembroke gelegentlich Wohnsitz und Namen. London ist groß, da kann man leicht untertauchen und ein paar Straßen weiter neu anfangen. Viel Mobilar und Habseligkeiten besitzt Mrs. Pembroke nicht, höchstens eine Wagenfuhre voll. Wenn man sie nach einem ihrer Umzüge aufspüren will, empfiehlt es sich nach einem Haus mit Garten Ausschau zu halten, nicht weit entfernt vom nächsten Milchgeschäft (wo man sie schnell als gute Kundin kennt). Eventuell hat Mrs. Pembroke ja sogar Waschtag und hat viele frisch gewaschene Windeln im Garten auf der Leine hängen …

Mrs. Pembroke sieht aus wie jemand, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat. Sie hat dünnes graues Haar, das zu einem strengen Knoten zusammengefaßt ist, graue Augen, runzlige Haut und große kräftige Hände. Sie ist groß und dünn, und geht immer mit leicht hochgezogenen Schultern. Seit dem Tod ihres Mannes vor fast 30 Jahren trägt sie stets nur schwarze Kleidung. Sie macht einen strengen, aber respektabelen Eindruck. Um den Hals trägt sie ein silbernes Kettchen mit Kruzifix, an der Hand einen schlichten Ehering.

Mrs. Pembroke lebt nicht allein. Ihr Sohn Albert lebt bei ihr. Albert ist 36 Jahre alt, geistig jedoch zurückgeblieben. Sein geistiges Alter entspricht dem eines Vierjährigen. Albert ist dafür körperlich umso besser ausgestattet. Er ist fast zwei Meter groß, breitschultrig und stämmig. Sein dünnes blondes Haar lichtet sich schon. Er wird von seiner Mutter jeden Tag rasiert. Seine Gesichtsfarbe ist auffallend rosig. Glücklicherweise hat Albert trotz seines etwas einschüchternden Äußeren ein friedfertiges Gemüt. Außerdem gehorcht er stets seiner Mutter. Sollte er das Gefühl haben, dass man seine Mutter bedroht, wird er hingegen zu einem ernstzunehmenden Gegner.

Albert redet nicht viel. Von den Babys spricht er – wenn überhaupt – nur als ”Puppen”, denn so nennt seine Mutter die Säuglinge. Tatsächlich hat Albert immer seine (echte) Puppe Mary bei sich. Albert begreift nicht im Geringsten, ”warum die anderen Puppen immer kaputtgehen”. Sollte seine Mutter verhaftet werden oder sterben, landet Albert mit Sicherheit in einem der schrecklichen Londoner Irrenhäuser.

Mrs. Pembroke mag es nicht, wenn Albert das Haus verlässt. Seine Gegenwart hält die Nachbarn vom Schnüffeln ab. Außerdem hat er gelernt, den Babys die Nuckel fertig zu machen. Er kann also auf die Kinder aufpassen, während Mrs. Pembroke arbeitet oder einkauft

Wenn man mit Mrs. Pembroke spricht, fällt einem an ihr eine gewisse Unnahbarkeit auf. Sie drückt sich in Gesprächen langsam, aber präzise aus. Dabei gibt sie sich keine Mühe, Sympathien zu erwecken.  Sie hat starke Nerven und immer einen kühlen Kopf. Wenn sie das Gefühl hat, man ist ihr auf der Spur, täuscht sie Arglosigkeit vor, um dann bei Nacht und Nebel zu verschwinden.

Mrs. Pembroke hat durch die Babys schon ein kleines Vermögen auf die Seite geschafft. Ein Teil des Geldes liegt auf der Bank, der Rest ist im Haus versteckt. In ein paar Jahren will sie sich auf dem Lande zur Ruhe setzen und mit ihrem Sohn von den Zinsen leben. Das Geld soll außerdem für Alberts Wohlergehen sorgen, wenn Mrs. Pembroke einmal nicht mehr ist. Mrs. Pembroke hat wenig Interessen, sie liest jedoch regelmäßig Tages- und Wochenzeitungen, und zwar von der ersten bis zu letzten Seite. Besonders berühmte oder berüchtigte Spielerfiguren könnten ihr daher durchaus bekannt sein. Außerdem kommt sie auch über Zeitungsanzeigen an die Babys heran;  sie inseriert regelmäßig (unter Verwendung verschiedener Namen) in unterschiedlichen Zeitungen (Antwort: postlagernd).

Mrs. Pembroke arbeitet gelegentlich aushilfsweise als Pflegerin oder Reinemachefrau in den Londoner Krankenhäusern.  Dort kann sie die unglücklichen Mütter ansprechen.

 

Szenariovorschläge

1. Sarah Connor, ein verzweifeltes junges Mädchen, wendet sich an die Abenteuer (oder wird von ihnen daran gehindert, von der London Bridge zu springen): Sie hat vor 6 Monaten ihr uneheliches Baby in Pflege gegeben. Sie war Hausmädchen in einer angesehenen Familie, wurde jedoch, als der Sohn des Hauses sie schwängerte, heimlich mit einer Abfindung vor die Tür gesetzt. Nach der Geburt ihres Sohnes antwortete Sarah in ihrer Verzweifelung auf die Zeitungsannonce einer gewissen Mrs. Victoria Pendleton (Vera Pembroke). Die versprach das Kind, bei freundlichen Bauern in Pflege zu geben. Sarah gab der Frau alles Geld, das sie besaß, damit das Kind es bei den neuen Eltern gut haben sollte. Sarah hat inzwischen eine neue Stellung gefunden. Nun hat jedoch Sarahs ehemalige Brotherrin Mrs. Fortesciu-St.John vom Fehltritt ihres Sohnes erfahren. Sie sieht es als ihre Christenpflicht an, das Kind anständig aufziehen zu lassen, und hat daher Sarah aufspüren lassen. Sarahs Erklärungen über den Verbleib des Kindes haben Mrs. Fortesciu-St.John nicht befriedigt. Wenn Sarah nicht in den Verdacht geraten will, eine Kindesmörderin zu sein, muss sie bald Beweise für die Existenz der plötzlich nicht mehr auffindbaren Mrs. Pendleton herbeischaffen …

2. Der Hund eines der Abenteurer fördert bei Grabungen im Nachbargarten eigenartige Knochen zu Tage. (Oder: Im Garten oder Keller einer der Spielerfiguren werden bei der Gartenarbeit oder beim Kellerausbau Knochen gefunden.) Bei näherer Untersuchung der Fundstelle lassen sich gut zwanzig Skelette menschlicher Säuglinge identifizieren. Unter den vielen ehemaligen Besitzern des Nachbarhauses befand sich auch eine gewisse Mrs. Pembroke …

Hinweis an die Spielleiterin: Die Entlarvung der vielfachen Mörderin kann die Abenteurer über Nacht berühmt machen (2W6+2|3). Ein solcher Fall würde allenthalben Schlagzeilen machen, und in der Bevölkerung dürfte wenigstens ein paar Monate lang eine aufgebrachte Stimmung herrschen, die zu immer neuen Verdächtigungen anderer kinderreicher Leute führt.

 

Mrs. Vera Pembroke

Größe: 1,68 cm, Gewicht: 62 kg, rechtshändig – 54 Jahre – Ruhmespunkte: 7/5 – SG 2

Einkommen: H

St 95, Ge 88, Gw 68, Ko 74, In 92, mT 42, Au 54, pA 65, Sb 91, Wk 83

15 LP, 21 AP – B 21 – SchB+3 – Sechster Sinn+2

Waffenfertigkeiten: keine; Raufen+8 (1W6-1) – Abwehr+12, Ausweichen+12

Allgemeinbildung+12, Beredsamkeit+10, Erste Hilfe+9, Geschäftstüchtigkeit+9, Medizin+7, Menschenkenntnis+11, Pharmakologie+7, Schauspielern+8, Verkleiden+9 

Sprechen/Schreiben: Englisch +19/+19

(Stephanie Lammers)