„Wie Gott will, es ist ja alles doch nur eine Zeitfrage, Völker und Menschen, Torheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und gehn wie Wasserwogen, und das Meer bleibt. Was sind unsre Staaten und ihre Macht und Ehre vor Gott anders als Ameisenhaufen und Bienenstöcke, die der Huf eines Ochsen zertritt oder das Geschick in Gestalt eines Honigbauern ereilt …“
(Otto von Bismarck 1859 in einem Brief an seine Gattin)
Wir arbeiten in unseren Publikationen sehr gern mit zeitgenössischen Reiseführern und Lexika. Diese warten, viel stärker noch als unsere heutigen, mit umfassendem Zahlenmaterial auf – was man beispielsweise in den Regions- und Länderbeschreibungen von Adel verpflichtet sehr deutlich sieht. Aber wem nutzen solche umfassenden Zahlensammlungen? Hat es eine praktische Auswirkung für das Spiel, wenn man weiß, dass Chile im Jahre 1880 knapp zwei Millionen Einwohner hat und in Bern 43.197 Menschen leben? In den meisten Fällen wohl eher nicht.
Diese „Zahlenmanie“ trifft allerdings den Zeitgeist. In einer Welt, in der es noch keine Möglichkeit gibt, Informationen zu anderen Ländern schnell zu vermitteln, boomt die Enzyklopädie (oder, für die Gebildeteren französisch Encyclopédie, letztlich vom griechischen Ausdruck für „Kreis des Wissens“), in der Otto Müller alles nachlesen kann, was er auf anderem Wege nie erfahren würde. Und Wissen über seine Umwelt ist „in“; gerade wenn es um ferne Länder geht, die Wertschätzung für statistisches Material ist groß. Die Redaktionen dieser Enzyklopädien sind stets bemüht, ihr Wissen auf dem neusten Stand zu halten; ein großer Mitarbeiterstab prüft ausführlich alle neu veröffentlichten Forschungsergebnisse, Statistiken, Volkszählungen usw. Dass in Chile über doppelt so viele Menschen leben als in Ecuador, gehört gleichsam zur Allgemeinbildung. Und eine mehrbändige Enzyklopädie zur Grundausstattung eines jeden Mittelklassehaushalts. Selbst wenn man gar nicht so viel darin nachliest – gut sichtbar platziert, lässt sie bei Gästen zumindest den richtigen Eindruck aufkommen. Während der Reiseführer eher praktischen Nutzen hat, ist eine Enzyklopädie oft auch ein Statusobjekt.
Die „Vorrede“ des Brockhaus Conversations-Lexikons von 1809 gibt das Ziel solcher Werke treffend wieder: „Der Zweck eines solchen Wörterbuchs kann auf keinen Fall der sein, vollständige Kenntnisse zu gewähren; es wird vielmehr dieses Werk – welches eine Art von Schlüssel sein soll, um sich den Eingang in gebildete Zirkel und in den Sinn guter Schriftsteller zu öffnen – aus den wichtigsten Kenntnissen, der Geographie, Geschichte, Mythologie, Philosophie, Naturlehre, den schönen Künsten und andern Wissenschaften, bloß diejenigen Kenntnisse enthalten, welche ein jeder als gebildeter Mensch wissen muß, wenn er an einer guten Conversation Theil nehmen oder ein Buch lesen will.“
Natürlich sind die Zahlen, die Otto Müller liest, gerade bei den ferneren Ländern nie wirklich aktuell, sondern in der Regel etwa fünf Jahre alt – worauf die Enzyklopädien auch stets verweisen, indem sie die Jahreszahlen ihrer Erhebungen angeben. In den „Zwischenzeiten“ zwischen neuen Auflagen werden aktualisierte Informationen gern in „Ergänzungsbänden“ vermittelt, weshalb man sich nicht einfach eine Enzyklopädie kauft, sondern gleich ein Abonnement abschließt. Dies hat den Vorteil, dass Aktualisierungen bereits vor ihrem Erscheinen als gebundenes Buch als Vorabdrucke ausgeliefert werden können, häufig von Hausierern.
Wichtige Enzyklopädien im deutschsprachigen Raum sind Meyers Konversationslexikon und das Brockhaus Konversationslexikon. In Großbritannien verlässt man sich auf die Encyclopaedia Britannica (deren 9. Auflage von 1875–1889 24 Bände sowie einen separaten Index umfasst), in den USA auf die New US Encyclopaedia mit zwölf Bänden von 1858–1863 und jährlichen Nachlieferungen bis 1902. In Frankreich ist von 1865–1877 das 15-bändige Grand dictionnaire universel du XIXe siècle aktuell, danach von 1886–1902 La Grande Encyclopédie mit ihren 31 Bänden. In Russland gibt es von 1890–1907 den Brockhaus-Efron Entsiklopedicheskii Slovar mit 43 Bänden.
Unsere Lieblingsquellen sind Meyers Konversationslexikon in der 4. Auflage von 1885-1892 und das Brockhaus Konversationslexikon in seiner 14. Auflage von 1894-1896. Zu beachten ist dabei natürlich, dass die Texte solcher Werke das Wissen und die Vorurteile der Zeitgenossen wiedergeben und alle anderen Völker gegen sich selbst als den Maßstab aller Dinge abgrenzen, weshalb sie aus unserer modernen Perspektive mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind. Aber das ist nun einmal der Stand des Wissens, der unseren Spielerfiguren zur Verfügung steht
Während die Enzyklopädie den Daheimgebliebenen theoretisches Wissen über die Welt vermittelt, ist der Reiseführer unverzichtbar, wenn man eigene Unternehmungen planen möchte. Schauen wir uns zwei Beispiele an:
Gleichwohl das Schiff das Hautverkehrsmittel der Zeit für Fernreisen ist, ist es nicht immer auch das schnellste. Nehmen wir eine Reise nach Alexandria als Beispiel: Von Europa nach Alexandria (dem Tor nach Ägypten) zum Beispiel nimmt man, auch von Hamburg oder London aus, den Zug nach Brindisi in Italien (von London aus natürlich vorher die Fähre nach Calais und den Zug nach Paris) und reist von dort aus mit dem Schiff über das Mittelmeer. Im Excursionist vom 3. Mai 1869 preist Thomas Cook diese Route von England aus als „neu, beliebt und billig“ an; Cook & Son bieten eine Reisedauer von sieben Tagen für 20 Pfund (also 400 Mark) in der ersten Klasse an. Theodor Fontane schreibt in Wanderungen durch die Mark Brandenburg in seiner Schilderung der Orientreise des Prinzen Friedrich Karl 1882/83, dass der Prinz am 27. Dezember 1882 in Berlin aufbricht; am 29. Dezember (über Wien) Triest erreicht; am Folgetag mit einem Lloyd-Dampfer in See sticht; am 31. Dezember in Korfu eintrifft; am 1. Januar die Küste von Elis und Messenien passiert; und schließlich am 3. Januar in Alexandria eintrifft.
Oder nehmen wir ein noch extremeres Beispiel: Wir möchten von London nach San Francisco. Ein Schiff mit einer Reisegeschwindigkeit von 10 Knoten wäre 67 Tage unterwegs (68 abzüglich des einen Tags, den London näher am Ziel ist als Hamburg). Dann wiederum benötigt das gleiche Schiff nur 13 Tage bis New York, von wo aus wir auf den Spuren von Phileas Fogg mit dem Zug fahren können, der uns in gerade einmal sieben Tagen nach San Francisco bringt – zumindest ab 1869, davor dauert es um die drei Wochen, was aber immer noch schneller ist als das Schiff. Und schon werden aus den 67 Tagen 20 Tage reine Reisezeit. Vorausgesetzt natürlich, man ist in Eile und hat nicht allzu viel Gepäck.
Um all dies zu wissen bzw. schnell nachschlagen zu können, ist jeder Reisende, der etwas auf sich hält, im Besitz eines oder mehrerer Handbücher, Reiseführer oder Almanache, die auf das Genaueste jede Zug- oder Schiffsverbindung einer bestimmten Region oder Route auflisten und zudem Informationen zu Hotels, Gaststätten, Telegrafenämtern und ähnlichem liefern. So ist man stets für alle Fälle gerüstet und kann schnell nachschlagen, wenn man umdisponieren muss. Zu den bekannteren zählen die Baedeker-Reiseführer (seit 1861 auch in Englisch) oder Bradshaw’s Handbooks (siehe rechts). Diese Bücher werden aber zur Jahrhundertwende hin immer unhandlicher, da die Reisewelt komplizierter wird. Während Bradshaw’s Handbook von 1862 noch mit 450 Seiten auskommt, umfasst es im Jahr 1900 mit seiner Auflistung der Fahrpläne aller 160 zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien existierenden Zuggesellschaften schon über 1000.
Auf dieser Seite findet man (meist englischsprachige) Facsimiles von Beadeker-Reisefühern ab 1850. Der erste Link (Schweiz 1850) funktioniert nicht, der Rest sehr wohl.