Feuerwaffen

Feuerwaffen

„Moran sah unbeirrt hin – er wartete natürlich auf eine Bewegung, und dann legte er sein zusammengebautes Gewehr an die Schulter, den rechten Arm gerade zur Seite gestreckt, als sich die Muskeln seiner Schusshand spannten.“

(Harry Flashman in Flashman and the Tiger von George MacDonald Fraser)

 

Der Großteil der Spielfiguren von Abenteuer 1880 mit Schusswaffenfertigkeiten werden diese beim Militär erworben haben, daher werden sie mit den damals gebräuchlichen schweren Militärrevolvern wie dem deutschen Reichsrevolver M1879 bzw. M1883, dem Österreichischen Gassner M1870, dem britischen Enfield-476 Mk 1, dem amerikanischen Colt Single-Action-Army (dem “Peacemaker”) oder dem russischen Smith & Wesson-44 Russian vertraut sein.

In der Welt von Abenteuer 1880 gibt es aber auch auf dem Gebiet der Feuerwaffen allerhand Merkwürdigkeiten. Im folgenden werden die im Bereich Feuerwaffen bewusst einfach gehaltenen 1880-Regeln nicht mit seitenlangen Waffentabellen (nach dem Motto “aber noch mehr Schaden macht ein…”) befrachtet, sondern nur ein paar originelle Exemplare beschrieben, die auch Spielfiguren tragen könnten.

Schon seit dem 15. Jahrhundert waren Kombinationen von Blank- und Schusswaffen gebräuchlich. Im späten 19. Jahrhundert wird noch eine Vielzahl an Dolch- und Säbelrevolvern produziert. Vor allem die Taschenmesserpistolen, die originelleren Verwandten der Schweizer Offiziersmesser, erfreuen sich großer Beliebtheit. Meist ein-, seltener zweischüssig, normalerweise Kaliber von 6 bis 8 mm – und nicht besonders zielgenau. Aber klein, praktisch und unauffällig. Besonders der Sheffielder Messerhersteller Unwin & Rodgers tat sich bis 1884 (in diesem Jahr verkauften sie ihr Patent an einen amerikanischen Hersteller) in der Herstellung dieser Waffen hervor.

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Handballenpistolen wie die (sechsschüssige 32er) Le Protecteur von Turbieaux aus Paris oder die amerikanische (fünfschüssige 22er) Little All Right waren ebenfalls beliebte und vor allem unauffällige “Selbstverteidigungswaffen”. Zu diesen Handballenpistolen gehört auch der von L. Dolne in Lüttich produzierte Apachen-Revolver, eine Kombination aus Schlagring, Dolch und (sechsschüssigem 6mm) Revolver, der nach den “Apachen-Banden” der Unterwelt von Paris benannt ist, welche diese Waffe offenbar besonders schätzten.

Alle diese kleinen Nettigkeiten sollten wie die aus unzähligen Filmen bekannten Derringer (ab 1870 von Colt produziert) in den 1880-Regeln behandelt werden. Mit keiner dieser Waffen kann man auf mehr als drei bis fünf Meter weit treffen, aber über einen Pokertisch hinweg können besonders die mehrläufigen Exemplare schon Respekt einflößen.

Bezeichnend für den Zeitgeist sind auch die zahllosen Velo-Dog Revolver. 1894 von Galland in Paris eingeführt und von zahllosen anderen Herstellern nachgebaut, war dieser kleinkalibrige (5,5 mm) Revolver zur Verteidigung von Radfahrern gegen bissige Hunde (!) gedacht. Zu diesem Zweck gab es für pazifistische Käufer auch mit Cayennepfeffer und Feinschrot geladene Patronen in diesem Kaliber.

Einige belgische und französiche Hersteller wie HDH spezialisierten sich auf Spirletrevolver, Monstren mit einer bis zu zwanzig Schuß fassenden Trommel. Besonders zu erwähnen ist hier noch die Le Mat. Zwar “nur” ein Neunschüsser, aber dafür mit einem zusätzlichen Schrotlauf ausgestattet.

Auch die britische Lancaster, eine vierläufige Pistole mit rotierendem Hahn, kann sowohl Vollgeschosse (Kaliber -38) als auch Schrot verschießen.

1892 baut Schonberger in Österreich die erste Automatikpistole. Es wird aber noch bis zur Jahrhundertwende dauern, bis die Automatikpistolen genügend ausgereift sind, um den Revolvern ernsthaft Konkurenz zu machen.

Man sollte daran denken, dass Jagdwaffen weltweit recht verbreitet sind. Im Deutschen Reich oder in Großbritannien ist die Jagd nur einer verhältnismäßig kleinen Schicht (und den Wilderern, denn das Wildern war besonders in den Alpen Volkssport  – die Wilderer im Bayrischen sind von den Heimatdichtern zu wahren Volkshelden stilisiert worden) vorbehalten, doch in den romanischen Ländern, wo jedermann Jagd- und Fischereirecht besitzt, ziehen wahre Armeen von Jägern schwerbewaffnet aus, um zum Beispiel ihre teure Heimat vor den alljährlichen Invasionen zahlenmäßig weit überlegener Singvögel zu schützen … Daher führen dortselbst einfache Leute ganz ungeniert (meist doppelläufige) Schrotflinten mit sich. In den achtziger Jahren baute Colt in den USA gar vierschüssige Revolverschrotflinten, Ende der Achtziger gab es dann die allseits bekannten “pump-action”-Vorderschaftrepetierer, die wohl kaum nur zur Schnepfenjagd geeignet sind.

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In Ost- und besonders Südosteuropa werden Jagdwaffen ganz selbstverständlich geführt, immerhin gilt es ja auch, Vieh und Besitz vor mitunter auch vierbeinigen Räubern zu schützen. Meist sind dies einschüssige Modelle, wie es auch die allermeisten Militärgewehre der Zeit sind. Selbst die berühmte Winchester 1873 wurde nie vom amerikanischen Militär (dafür aber von einigen türkischen Einheiten!) verwendet. Seit dem Jahre 1876 gibt es eine originelle Kombination: Die schwerere Winchester 1876 vereinigt die Vorteile des Repetiergewehres mit den Leistungen eines Büffelgewehres. Zu spät für die Büffeljagd auf dem Markt, wurde sie von Großwildjägern in Afrika und Asien eingesetzt, um auch hier die Wildbestände im Rekordtempo zu dezimieren. Die berühmteste Elefantenbüchse, die englische Holland & Holland 0.60 Nitro Express, könnte in Abenteuer 1880 auch zur Jagd auf Drachen und ähnliches Großwild eingesetzt werden. Was wohl der Waffenhändler auf die Frage nach Silberkugeln für diese Büchse antwortet?

Soweit zu den legalen Waffen. Stockflinten und -degen waren zwar um 1880 sehr beliebt, aber im Deutschen Reich nach Strafgesetzbuch  367 von 1871 verboten: “Mit Geldstrafe bis zu 50 Talern oder mit Haft wird bestraft: wer einem gesetzlichen Verbot zuwieder Stoß- Hieb- oder Schusswaffen, welche in Stöcken oder Röhren oder in ähnlicher Weise verborgen sind, feilhält oder mit sich führt.” In England, Frankreich oder gar den USA ist natürlich nicht mit solchen Strafen zu rechnen. Stockflinten waren damals beliebte Wildererwaffen und wurden in allen erdenklichen Kalibern hergestellt, auch in Schrot- und Luftdruckversionen. Spazierstöcke sind um 1880 modern, und der elegante Herr erregt somit keinerlei Verdacht, wenn er mit einem Stockdegen oder einer Stockflinte bewaffnet spazieren geht oder auf Abenteuer zieht.

(Thomas Kreutz)