Historische Erläuterungen zum Tempelorden

Historische Erläuterungen zum Tempelorden

Der Hintergrund

Im Jahre 1119 gründete Hugo von Payens in Jerusalem den Ritterorden Fratres militiae templi. Hierzulande ist der Orden als der Orden der Tempelritter (kurz: Templer) bekannt. Er sollte die Pilger im heiligen Land und die heiligen Stätten der Christenheit schützen. Der schon zu Lebzeiten berühmte Bernhard von Clairvaux feilte die Regeln des Ordens weiter aus. Zwanzig Jahre nach seiner Gründung (1139) wurde der Orden dem Papst unterstellt und war für die folgenden Päpste so etwas wie eine Privatarmee. Für die weltlichen Herrscher war der Orden nahezu unantastbar. So musste er keine Steuern zahlen, und es war ihm erlaubt, Geld gegen Zinsen zu verleihen, was Christen normalerweise untersagt war. Im Laufe der Kreuzzüge wurde aus dem Orden eine internationale einflussreiche Miliz, straff geführt und perfekt organisiert.

Doch die Kreuzzüge brachten nicht den anhaltenden Erfolg, den sich das Abendland gewünscht hatte, sondern verschlissen Ressourcen jeglicher Art: Geld, Soldaten, Herrscher. Aufgrund häufiger Rückschläge und Streitigkeiten unter den christlichen Eroberern verlagerte der Orden seine Aktivitäten zusehends von den Schlachtfeldern des Orients auf die Finanzmärkte Europas. Aber die Streitmacht des Ordens war immer noch in Spanien und Portugal aktiv, wo die Mauren eingefallen waren. So unterstützte beispielsweise im Juli 1212 bei Las Navas ein starkes Templerheer die Truppen von König Pedro II. von Aragon und Sancho VII. von Navarra gegen das maurische Heer des Kalifen An Nasir.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Orden den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Der europäische Adel tätigte großzügige Schenkungen an den Orden, vertraute ihm die Kronjuwelen und seine Finanzberatung an: Die Templer waren in ganz Europa vertreten, und auch im Nahen Osten hatte sie Niederlassungen errichtet. Die Erfindung des Wechselbriefes und des Schecks, den man jederzeit in bare Münze umtauschen konnte, kann vermutlich bis auf die Templer zurückgeführt werden.

Doch dieser weltliche Reichtum ließ die “armen Ritter Christi” ihre hehren Ziele vergessen: Nächtliche Saufgelage des Ordens waren keine Seltenheit und allgemein bekannt (so entstand z.B. in Spanien die Redensart: “Er säuft wie ein Templer!”). Und auch mit den Jungfrauen ihrer Ländereien und gar mit den Töchtern Arabiens amüsierten sich die Templer. Selbst von Homosexualität unter den Brüdern wurde oft berichtet; gerüchteweise hatte der Großmeister des Ordens diese Unzucht sogar erlaubt. Die Gelübde der Armut und Keuschheit waren vergessen.

Schließlich ist auch bekannt, dass die Tempelritter häufig Drogen einnahmen, die sie von den meuchelnden “Haschischgenießern” von Alamut erhielten. Dieser ismaelitische Geheimbund arbeitete in Persien und Syrien und terrorisierte die Kreuzfahrer und sogar ihre sunnitischen Glaubensbrüder des Islam. Der nach dem dritten Kreuzzug durch allerlei Thronwirren zum König von Jerusalem aufgestiegene Konrad von Montferrat fiel ihnen 1192 zum Opfer, und auch zwei missglückte Anschläge auf Sultan Saladin gehen auf ihre Rechnung. Die Assassinen wurden durch Drogen in einem Rauschzustand versetzt und in einen großen Garten geführt, um ihnen so einen Einblick in das Paradies zu geben, so dass sie den Tod nicht mehr fürchteten. Tatsächlich war der Anführer der Assassinen, der “Alte vom Berg”, kein Mensch. In seinen Adern floss der Sage nach dunkles Blut, das Blut eines Halbdämons.

Sinan ibn Salam ibn Muhammad, wie sich der “Alte vom Berg” nannte, zahlte den Templern jährlich die beträchtliche Summe von 2000 Goldstücken als Schutzgeld. Doch wie es scheint, bezahlte er für diesen Schutz nicht nur in Gold: Einige wenige Templer aus der Festung Tolosa lehrte er das Wissen der schwarzen Magie. Ob diese Templer schon von Anfang an dem Bösen verfallen waren oder erst im Laufe ihrer Ausbildung von der schwarzen Magie korrumpiert wurden, lässt sich heute nicht mehr sagen. Der bekannteste unter diesen “gefallenen Templern” war Francis von Pirama, später unter seinen Anhängern auch bekannt als der Schattentempler. Er begann systematisch damit, innerhalb der Festung Tolosa und der Umgebung einen Geheimbund zu errichten, der tief in die Geheimnisse der schwarzen Magie eindrang. Dieser Geheimbund betete einen mächtigen Dämonen an, der als Baphomet schon den Gnostikern bekannt gewesen war. Von ihm erhielt der Bund einen Großteil seiner Macht. Etwa ab 1190 breitete sich der Geheimbund des Baphomet dann bis nach Europa aus. Dabei geschah es nicht selten, dass gottesfürchtige Templer, die Hinweise auf den Geheimbund besaßen, unerwarteten Besuch von Assassinen oder Dämonen erhielten, den sie nie überlebten.

Die Festung der Assassinen wurde 1256 zerstört. Aus Furcht, im Rahmen der Aktion gegen die Assassinen entdeckt zu werden, hatte sich der Geheimbund schon 1255 aus diesem Gebiet zurückgezogen und konzentrierte seine Aktionen auf Mittel- und Westeuropa. Hier war er so erfolgreich, dass fast in jedem Templer-Stützpunkt mindestens ein Mitglied des Baphomet-Ordens eingeschleust werden konnte. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts war der Templerorden – abgesehen von den Truppen, die sich direkt im Vatikan aufhielten – praktisch völlig von dem Geheimbund unterwandert.

Das Ende des Ordens der Tempelritter löste König Philipp von Frankreich aus. Er war hochverschuldet, zum Teil auch bei den Templern. Um an die Reichtümer des Ordens zu gelangen und seine Schulden wieder aufzulösen, klagte er den Tempel der Ketzerei an und ließ am 13. Oktober 1307 alle Ordensbrüder in Frankreich verhaften. Der Schock des verschuldeten Königs war groß, als er entdeckte, dass die Templer tatsächlich mit Dämonen paktierten. Angesichts dieser Beweise und auf Druck des Königs ließ Papst Clemens V. den Befehl geben, den Orden aufzulösen. In manchen Ländern wurden alle Templer auf Scheiterhaufen verbrannt (Frankreich), in anderen Ländern wurden sie “nur” ins Gefängnis geworfen. Die Verfolgung der Ordensmitglieder erfolgte bis über das Jahr 1310 hinaus.

Damit war der Templerorden weitgehend ausgelöscht. Doch der Geheimbund des Baphomets, dem die Hetzjagd eigentlich galt, hatte sich an einigen Orten gehalten.

In Rom überlebte der Templerorden. Einige gottesfürchtige Templer hatten sich dazu verpflichtet, die Heilige Stadt nicht mehr als eine Viertelmeile zu verlassen, ohne ihre Mitgliedschaft im Orden zu verlieren und für vogelfrei erklärt zu werden. Dadurch entgingen sie dem Zorn Clemens’ V. Auch in Köln und Tirnau (Slowakei) überstanden die Templerorden die Verfolgungen und konnten ihre Besitztümer retten – allerdings nur unter ähnlich strengen Auflagen wie in Rom.

Diese “guten” Templerorden existieren auch noch im Jahre 1880; sie können den Spielerfiguren Verbündete liefern oder gar als Auftraggeber agieren. Natürlich können sie auch als geheimnisvolle Macht im Dunkeln oder als Gegner bei der Jagd nach einem magischen (verfluchten?) Artefakt auftreten.

Doch in Köln gelang es einigen Mitgliedern des Geheimbundes, sich unter den gottesfürchtigen Templern zu verstecken und in der Mehrzahl unentdeckt zu bleiben. Sie stellten in der Folge die Keimzelle eines neuen “bösen” Ordens dar. Zum Glück waren fast alle ihre führenden Köpfe hingerichtet worden oder in finsteren Verliesen verschwunden. Dadurch gingen die meisten ihrer geheimen Beschwörungsriten verloren.

Der Orden in Köln verhielt sich lange Zeit zurückhaltend, bevor er sich Anfang des 17. Jahrhundert als Geheimorganisation wieder auszubreiteten begann. Begünstigt durch die Wirren und Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), gewann er rasch an Macht. Obwohl im Verborgenen agierend, konnte er erfolgreich in ganz Deutschland, Dänemark und Schweden – und später auch in Osteuropa – Einfluss gewinnen. Im 18. Jahrhundert unterstützte der Orden im Untergrund die französische Revolution. Es wird berichtet, daß bei der Hinrichtung Louis’ XVI. ein unbekannter Mann auf die Guillotine sprang und ausrief “Jacques de Moley, dein Tod wurde gerächt.” (Jacques de Moley war ein Großmeister des Ordens, der 1314 verbrannt wurde, was einem Hinweis auf die Identität des Unbekannten gleichkommt). Auch wenn sich die Organisation immer noch als Templerorden bezeichnete, stand sie völlig im Zeichen des Dämons Baphomet. Der Orden besaß großen Einfluss auf diverse Freimaurerlogen, ein Teil der neuen Mitglieder wurde auch von dort rekrutiert, und insbesondere wurden die Freimaurer oft als Handlanger und Zuträger benutzt. Heute, um das Jahr 1880, hat der Orden Verbindungen in ganz Mittel- und Osteuropa, vereinzelt auch in Spanien und Arabien. Je nachdem, wie mächtig der Spielleiter den Orden machen will und wo die Spieler ihre Abenteuer erleben, könnten sich vereinzelt auch in Amerika und den europäischen Kolonien Stützpunkte des Baphomet-Bundes gebildet haben. Zum Beispiel bieten die chaotischen Zustände, wie sie im Freistaat Kongo um 1880 herrschten, ideale Bedingungen für einen großen Stützpunkt des Ordens. Falls auch die Gesellschaft der Assassinen im Geheimen noch existiert, hat sie mit Sicherheit Beziehungen zu den Templern.

 

Der Orden im Jahre 1880

Der Tempel steht heute unter der straffen, gnadenlosen Führung des Großmeisters, dessen wahre Identität unbekannt ist. Ihm unterstehen die Ritter, die Kaplane und die dienenden Brüder. Die meisten kleineren Stützpunkte und Niederlassungen des Geheimbundes werden von einem dienenden Bruder geleitet, der einige Anhänger um sich geschart hat. Sie wissen oft nicht einmal, wie groß die Organisation wirklich ist und welches ihre wahren Ziele sind. Die meisten der dienenden Brüder beherrschen keine größeren Beschwörungen. Erst die Kaplane und vor allen Dingen die Ritter besitzen die Fähigkeit, Dämonen herbeizubeschwören. Über den Großmeister ist nichts bekannt. Es gibt sogar Gerüchte, dass er gar nicht mehr körperlich existiert, sondern in Wahrheit der Geist des Schattentemplers ist.

Bedeutende Templerorden gibt es in Köln, Tirnau und Rom, die noch auf die Zeit des alten, christlichen Ordens zurückgehen. Aber auch in Berlin, München, Frankfurt, Danzig, Bordeaux, Kopenhagen, Wien und London existieren inzwischen große Niederlassungen.

Bei den mächtigen Orden handelt es sich um eine größere Gruppe von dienenden Brüdern und Kaplane unter der Leitung eines Ritters. Sie sind bestens ausgerüstet und verfügen über weitreichende Beziehungen. Kommt es zu einer größeren Aktion des Ordens, können die Verantwortlichen über gut ausgebildete, verschwiegene Leute verfügen. Aus Sicherheitsgründen werden sie aber oftmals auf einfache “unwissende” Schläger zurückgreifen, die keine Geheimnisse verraten können. Ein kleinerer Orden wird oftmals nur einen Kaplan oder gar nur einen dienenden Bruder in einem Stützpunkt haben, der wohl eher über gute Beziehungen zur Unterwelt als zur Oberschicht verfügt (zumindest auf den ersten und zweiten Blick…).

Insgesamt kann man sagen, dass der Orden heute ebenso über Beziehungen zur Unterwelt wie zur Oberschicht verfügt. Was er vor allen Dingen fürchtet, ist eine Entdeckung durch die Kirche. Die Templer versuchen daher, keinerlei Spuren zu hinterlassen, die auf sie hinweisen könnten, und sie sind immer auf der Suche nach dem Wissen aus der Zeit vor der Zerschlagung des Ordens.

Wie die Spielerfiguren Kontakt zu einem Templerorden erhalten können? Vielleicht begegnet ihnen ein Archäologe, der auf der Suche nach demselben Artefakt wie sie ist; oder einige Gesetzeshüter und Detektive finden Spuren einer Mafia-artigen Organisation und erhalten auf einmal Besuch von einem Dämon, wonach ihnen nur die Helden mit ihrem Wissen weiterhelfen können. Es gibt viele Möglichkeiten, die Spielerfiguren in die Machenschaften einer so bedeutenden Organisation zu verwickeln. Doch sollte sich der Spielleiter darüber im Klaren sein, dass der Orden mächtig genug ist, um das beherrschende Element einer Kampagne zu werden. Die Beziehungen der Ordensmitglieder reichen bis in die höchsten politischen und gesellschaftlichen Ebenen, so dass es praktisch unmöglich ist, den Orden zu zerschlagen. Großangelegte Aktionen des Ordens oder gegen den Orden (z.B. das Zerstören ganzer Städte durch Dämonen etc.) würden die Geschichtsschreibung der Spielwelt nachhaltig beeinflussen – was nicht erwünscht ist.

 

Anmerkungen des Autors: Bis auf die Ereignisse um den Schattenritter und den finsteren Bund des Baphomet entspricht die obige Geschichte des Templerordens weitgehend den historischen Gegebenheiten. Manche Ereignisse sind nicht historisch abgesichert, sondern eher Vermutungen. Tatsächlich gibt es aber Gerüchte, dass die Templer ein dämonisches Götzenbild anbeteten. Den meisten Zeugenaussagen zufolge handelte es sich um die Skulptur eines Kopfes. Die Aussagen über die Form des Schädels weichen jedoch erheblich voneinander ab. Andere Quellen sprechen einfach von dem Bildnis einer schwarzhäutigen Madonna, das angebetet wurde. Was immer man über den Templerorden sagt, man kann nicht abstreiten, dass er von einem Geheimnis umgeben ist. Wieder andere Texte reden von einem kunstvoll gefertigten Pferdekopf.

Bei meinen Recherchen habe ich mich übrigens insbesondere auf das Buch Terra X: Schatzsucher, Ritter und Vampire (Heyne Verlag, München) gestützt. Ich habe die augenblickliche Situation des Ordens absichtlich verschwommen gelassen. Jede Spielleiterin muss selbst festlegen, wie stark sie den Orden haben möchte, über wieviel (und welche) Macht er besitzt. Beim Entwerfen einer exakten Ordensstruktur muss sich die Spielleiterin zudem überlegen, welche andere Gruppen der Orden beeinflussen kann, und auf welche Weise dies geschehen kann. Beispielsweise kann ein Polizist einer Polizeiwache Mitglied in einer Freimauerloge sein, die vom Orden unterwandert wurde. So erfährt der Orden viel über die Polizeiarbeit. Er kann ohne weiteres an Akten gelangen, Beweise verschwinden und Personen besonders genau beobachten lassen. Wenn solche “kleinen Gefälligkeiten” öfters passieren, verstrickt sich der Beamte immer weiter im Netz des Ordens, bis dieser ihn erpressen kann. Auf diese Weise kann sich der Templerorden der massiven Unterstützung durch Polizisten versichern.

Die übernatürlichen Elemente, die in diesem Artikel erwähnt werden (Schattenritter Baphomet), benötigen nach Dr. C. Horreums Plausibilitäts-Indikator einen Wert von mindestens [0220].

(Ralf Tschulena)