Psychologie – Angst für Jedermann

Psychologie – Angst für Jedermann

 

Die psychische Belastbarkeit eines Abenteurers

Die psychische Belastbarkeit (pB) ist ein Maß für die geistige Widerstandskraft einer Figur angesichts traumatischer Erlebnisse und Situationen. Von ihr hängt die psychische Resistenz ab, die eine Spielerfigur einem Schockerlebnis entgegenzusetzen hat. Sie beeinflusst auch über einen Bonus für geistige Ausdauer das Maß, in dem der Abenteurer traumatische Schocks verkraften kann, ohne bleibende psychische Schäden zu erleiden.

Die psychische Belastbarkeit wird wie die Basiseigenschaften mit zwei W%-Würfen ermittelt, von denen der jeweils höhere Wurf gilt. Allerdings ist dieser Wert weitaus größeren Veränderungen unterworfen als die Basiseigenschaften.

Die psychische Belastbarkeit entspricht nicht dem geistigen Status einer Spielerfigur. Auch eine Figur mit einem niedrigen Wert kann durchaus völlig zurechnungsfähig sein, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie bei einem Schock ernsthafte Schäden an ihrer Psyche nimmt, ziemlich hoch.

 

Resistenz

Dieser Wert bestimmt die Aussichten einer Spielerfigur, ein traumatisches Erlebnis oder einen Schock ohne schwerwiegende Folgen zu überstehen. Der Erfolgswert eines Abenteurers beträgt bei Spielbeginn +12. Hierzu wird der von seiner psychischen Belastbarkeit abhängige persönliche Bonus für Resistenz aus der Tabelle am Ende dieses Artikels addiert.

 

Geistige Ausdauer

Jede Spielerfigur kann eine Anzahl von Schocks und Stresssituationen überstehen, bevor sie am Ende seiner geistigen Kräfte ist. Die Geistige Ausdauer (GA) gibt an, wie belastbar ein Abenteurer nervlich ist. Eine Figur verliert Geistige Ausdauer, wenn sie besonderen nervlichen Belastungen ausgesetzt ist oder sich einer besonders grauenvollen Gefahr gegenüber sieht, z.B. wenn einer ihrer Kameraden von einem Vampir ausgesaugt wird. Durch Schlaf oder ausgedehnte Erholung in entspannter Atmosphäre kann ein Abenteurer seine Geistige Ausdauer zurückgewinnen. Das im folgenden erwürfelte GA-Maximum, das ein Charakter in ausgeruhtem Zustand besitzt, wird dabei nie überschritten. Zum Würfelergebnis addiert der Spieler den GA-Bonus aus der Tabelle am Ende dieses Artikels. Wird das Endresultat hierdurch kleiner als 1, besitzt der Charakter GA 1.

GA = 3W6-3 + Bonus 

Ärzte, Journalisten, Kirchenmänner, Kriminalisten und Soldaten erhalten zudem einen Bonus von +6.

Das GA-Maximum einer Figur erhöht sich im Laufe des Spiels. Da die psychische Belastbarkeit auf Dauer abnehmen kann, ist es denkbar, dass eine Figur im Laufe der Zeit ihren GA-Bonus verliert. Unter diesen Umständen kann sich auch das GA-Maximum wieder verringern.

 

Belastende Situationen

Diese Regeln beschreiben ein System für psychische Auseinandersetzungen analog zum Kampfsystem. Eine belastende Situation tritt auf, wenn eine Spielerfigur mit einem besonders grauenhaften Ereignis konfrontiert wird. Ob eine Situation für Spielerfiguren belastend ist oder nicht, entscheidet die Spielleiterin. Sie legt die Heftigkeit des Grauens, den EW:Grauen, fest und bestimmt die Höhe des geistigen Schadens, welchen ein solches Erlebnis anrichten kann. Die nachfolgende Tabelle gibt ein paar Beispiele, wie hoch ein EW:Grauen und der entsprechende Schaden sein können.

EW:Grauen+5 (1W6): Ein Abenteurer erkundet im flackernden Licht seiner Fackel den Tempel einer längst vergessenen Gottheit. Als er den Sarkophag öffnet, grinst ihn der mumifizierte Leichnam eines Oberpriesters an.

EW:Grauen+15 (2W6): Obige Situation, aber in diesem Moment erhebt sich der Leichnam und bewegt sich langsam auf den Eindringling zu.

Ein erneuter EW:Grauen ist nur angebracht, wenn sich die belastende Situation grundlegend verändert hat. Es ist beispielsweise angemessen, einen lebendig begrabenen Abenteurer einem EW:Grauen auszusetzen, wenn er feststellt, dass sein Luftvorrat nur noch für weniger als eine Stunde reicht. Wird die Atemluft dann tatsächlich knapp, so sollte die Spielerfigur sich mit der Situation abgefunden haben und so – zumindest aus diesem Grund – keinen weiteren WW:Res ausführen müssen. Andererseits ist es angemessen, einen Börsenmakler täglich einen WW:Res bestehen zu lassen, so dass er oft gestresst, reizbar und empfindlich nach Hause kommt.

 

Ablauf eines psychischen Angriffs

Tritt eine belastende Situation auf, so führt die Spielleiterin einen EW:Grauen für das Ereignis aus. Beträgt das Gesamtresultat (Erfolgswert + 1W20) dabei mindestens 20, müssen alle mit dem Ereignis konfrontierten Personen einen WW:Res bestehen. Es wird nur ein EW:Grauen für alle betroffenen Personen gemacht.

Ist der WW:Res einer Spielerfigur mindestens genauso hoch wie der EW:Grauen, verliert sie lediglich einen Punkt geistige Ausdauer. Der Abenteurer kann sofort reagieren.

Misslingt der Widerstandswurf, aber das Gesamtergebnis beträgt mindestens 20, so ist die Figur noch einmal mit einem gehörigen Schrecken davongekommen. Der Schaden, den die belastende Situation verursacht, wird nur von ihrer GA abgezogen. Ist der Schaden größer als die aktuelle GA, so sinkt die GA ohne weitere Folgen auf 0. Die Spielleiterin bestimmt die Höhe des geistigen Schadens individuell für jede der betroffenen Spielfiguren.

Erreicht die Spielerfigur mit ihrem WW:R nicht einmal 20, trifft sie die volle Wucht des Grauens. Der Schaden wird jeweils von der geistigen Ausdauer und der psychischen Belastbarkeit abgezogen.

 

Folgen des Verlusts von Geistiger Ausdauer

Hat eine Spielerfigur mehr als einen Punkt GA verloren, ist sie für eine volle Kampfrunde vor Schreck wie gelähmt, d.h. wehrlos. Hat sie sogar pB verloren, ist die Figur für so viele Runden handlungsunfähig, wie die Höhe des pB-Verlustes beträgt. Sie verfällt in eine von der Spielleiterin zu bestimmende Schockhandlung, wie z.B. hysterisch schreien, Fötalstellung einnehmen oder in Ohnmacht fallen.

Besitzt eine Spielerfigur keine GA mehr, so ist sie nervlich völlig am Ende. Sie kann nicht mehr effektiv agieren, ist reizbar, hektisch und benimmt sich unvernünftig. Sie erhält WM-4 auf das Ausüben aller Fertigkeiten und WM-4 auf ihren Angriff und ihre Abwehr. In neuen belastenden Situationen steht einer Figur mit 0 GA kein WW:pR zu, d.h. jeder neue Schaden wird automatisch direkt von der pB abgezogen!

 

Regeneration verlorener Geistiger Ausdauer

Verlorene geistige Ausdauer erhält ein Abenteurer durch Ruhe und Erholung in entspannter Atmosphäre zurück. Er muss dazu nicht notwendigerweise schlafen. Bis zum Erreichen seines GA-Maximums bekommt der Abenteurer pro Stunde, die er in solcher Umgebung verbringt, 1 Punkt GA wieder. Ob sich ein Abenteurer innerhalb eines Szenarios entspannen kann, hängt von der jeweiligen Situation ab. Die Spielleiterin muss hierbei beurteilen, ob sich die Figur relativ sicher fühlen kann.

 

Folgen des Verlusts von psychischer Belastbarkeit

Eine Spielerfigur, die pB verliert, kann den erlebten Schock nicht verarbeiten und entwickelt eine psychische Störung. Man unterteilt psychische Störungen nach ihrer Schwere in Neurosen, Psychopathien und Psychosen, wobei Psychosen so gravierend sind, daß sie einen Großteil der Persönlichkeit einer Spielerfigur verändern.

Eine Figur, die auf einmal 2-6 Punkte pB verliert, entwickelt eine Neurose. Dies ist ein bestimmtes unnormales Verhalten, welches von Freunden und Bekannten nicht als seelischer Defekt, sondern als kuriose Schrulle eingestuft wird. Als Neurosen betrachtet man jede Art von Phobie gegen bestimmte Reize oder Situationen (Spinnenphobie, Schlangenphobie, Xenophobie, Agoraphobie, Klaustrophobie etc.), Ticks (unwillkürliches Zucken bestimmter Muskeln), hysterische Anfälle (Lähmung, Taubheit, Blindheit, Schreikrämpfe) und Zwangsneurosen (z.B. Zählzwang, Waschzwang). Ein Neurotiker wird bestimmte Orte nur mit äußerstem Widerwillen betreten oder auf bestimmte Wesen nur mit großer Mühe nicht sofort feindlich reagieren. Diese abnormen Verhaltensweisen können mit großen Willensanstrengungen unterdrückt werden. Ob dies gelingt, entscheidet einPW:Sb/2. Ergibt sich eine bedrohliche Zwangslage, so kann eine Spielerfigur ihre Phobie ohne Prüfwurf unterdrücken. Beispielsweise kann ein Abenteurer mit einer Spinnenphobie ein Spinnennetz anfassen und beseitigen, wenn es den einzigen Ausgang aus einer voll Wasser laufenden Höhle blockiert.

Verliert eine Figur auf einmal 7-12 Punkte pB, so hat sie einen beträchtlichen Schaden hinnehmen müssen. Sie trägt eine Psychopathie davon, die in der Schwere zwischen den Neurosen und den Psychosen liegt. Ein Psychopath wird niemals freiwillig ähnliche, reizauslösende Orte betreten und kann nur mit Gewalt davon abgehalten werden, bestimmte Wesen anzugreifen oder vor ihnen davonzulaufen. Ein Psychopath kann selbst in lebensbedrohlichen Situationen seinen Defekt nur unterdrücken, wenn ihm ein PW:Sb/2gelingt. Eine Psychopathie kann von einer Figur vor ihrer Umwelt solange problemlos verborgen werden, wie sie nicht einer Situation ausgesetzt ist, die die Psychopathie auslöst.

Bei einem Verlust von mehr als 12 Punkten pB auf einmal entwickelt die Spielerfigur einePsychose. Dies ist eine so extreme geistige Störung, dass sie eine schwerwiegende Persönlichkeitsveränderung darstellt. Das Spektrum geistiger Anomalien ist so breit gefächert, dass die untere Liste nur Kategorien enthält, aus denen der Spielleiter situationsbedingt eine passende Psychose bestimmt. Beispielsweise muss ein Spitzbube mit Waschzwang sich vor jedem Versuch, ein Schloss zu öffnen, die Hände waschen usw.

  • Wahrnehmungsstörungen, besonders Halluzinationen, z.B. visuell/sensorisch/akustisch (hört Stimmen, “da ist jemand”)
  • Denkstörungen/Wahnideen, z.B. Verfolgungswahn, Größenwahn
  • Sprachstörungen, z.B. Stottern, Wortneubildungen
  • Gefühlsstörungen, z.B. kein Interesse an der Umwelt (keine Reaktion bei neuen Situationen, antwortet nicht), Fehlreaktionen wie Lachen bei einer Todesnachricht
  • Bewegungsstörungen, z.B. Grimassieren, heftige und unkontrollierte Bewegungen, katatonische Starre
  • Persönlichkeitsstörungen, z.B. ein Psychotiker glaubt, jemand (oder etwas) anderes zu sein
  • manisch-depressives Verhalten, z.B. grundlose Hochstimmung, Bewegungs- oder Aktionsdrang wechselt mit Selbstwerterniedrigung, Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten

Spielerfiguren, die eine Psychose entwickelt haben, können unter keinen Umständen dazu bewegt werden, eine Handlung zu vollführen, die den Gesetzen ihrer Psychose widerspricht. Ein Psychotiker würde in der mit Wasser vollaufenden Höhle irre vor sich hin kichern und abwarten, ob das Spinnennetz nicht zuerst wegläuft.

Eine Spielerfigur die eine Pschose entwickelt hat, kann diese nicht mehr vor ihrer Umwelt verbergen, sie ist größtenteils unzurechnungsfähig. Der Gestörte nimmt seine Umwelt nur noch durch von seinem Wahnsinn aufgebaute und umgedeutete Illusionen wahr. Im 19. Jahrhundert werden in aufgeklärten Ländern solche Personen bei nächstbester Gelegenheit in lokal übliche Aufbewahrungsorte eingeliefert.

Psychische Störungen einer Figur geben dem Spieler ausreichend Anlaß zum charakternahen Rollenspiel, wobei die Spielleiterin das Recht hat, eine Figur zu übernehmen, dessen Spieler die Geisteskrankheit nicht genügend ausspielt!

 

Behandlung psychischer Störungen

Psychische Störungen verheilen im Gegensatz zu physischen Verletzungen nicht von selbst, hier bedarf es sachkundiger Hilfe und nur selten gelingt eine vollständige Heilung.

Hat eine Spielfigur pB verloren, so empfiehlt sich der Besuch eines gut geführten privatenSanatoriums, in dem Ärzte arbeiten, die den Patienten heilen wollen (vielleicht nicht immer können) und nicht wie viele ihrer Kollegen Geistesgestörte einfach nur verwahren. Eine solche Klinik können sich nur Abenteurer mit einem Wohlstand von “gut situiert” (J) oder besser leisten. Der Schulmediziner kann um 1880 in diesen Bereichen keine Hilfestellung leisten.

Die Spielleiterin bestimmt für das Sanatorium den Erfolgswert für die Heilung von psychischen Störungen. Eine Anstalt, in der Patienten nur verwahrt werden, hat einen Erfolgswert von +0. Eine sehr gute Klinik mit Ärzten, die solchen Fällen sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, hat einen Erfolgswert von +6. Die Spielleiterin macht jedes halbe Jahr, das ein Abenteurer in Behandlung verbringt, einen Erfolgswurf für die erfolgreiche Behandlung. Gelingt der Erfolgswurf, erhält der Abenteurer 1W6 pB zurück. Steigt seine pB dadurch auf 21 oder mehr an, wird er als geheilt entlassen. Allerdings leidet er immer noch unter den Folgen des Verlustes von pychischer Belastbarkeit; er kann jedoch die geistige Störung vor seiner Umwelt verbergen.

Ein Abenteurer kann mittels einer erfolgreichen Hypnose (großer Vorteil) versuchen, eine Figur das Ereignis vergessen zu lassen, das die psychische Störung ausgelöst hat. Hierdurch erhält sie die durch das Ereignis verlorene pB zurück und leidet auch nicht mehr unter den Folgen des Verlustes von pB.

 

Steigerung der Resistenz und der Geistigen Ausdauer

Das Alter eines Abenteurers hat keinen Einfluss auf die pB. Die Resistenz wird wie Abwehr und Ausweichen gesteigert (also wie eine leichte Waffenfertigkeit). Die Steigerungskosten für Geistige Ausdauer entsprechen denen für dieAusdauer (s. Tabelle 9C); den Bonus von +6 erhalten allerdings Ärzte, Journalisten, Kirchenmänner, Kriminalisten und Soldaten.

Auswirkungen der psychischen Belastbarkeit

pB 1 pB 2-10 pB 11-20 pB 21-30 pB 31-60 pB 61-80 pB 81-90 pB 91-95 pB 96-99 pB 100
GAB-4 GAB-3 GAB-2 GAB-1 GAB+0 GAB+1 GAB+2 GAB+3 GAB+4 GAB+5
psyRB-2 psyRB-2 psyRB-1 psyRB+0 psyRB+0 psyRB+0 psyRB+1 psyRB+1 psyRB+2 psyRB+3

(Sven Scheurer und Michael Haberer)