„Die Bibliothek ist der Öffentlichkeit nicht wirklich bekannt. Sie ist ein Lagerort für Bücher, die verboten sind, wurden, oder noch verboten werden könnten – entweder von uns oder von einer anderen … Autorität. Bücher, die so extrem und ungewöhnlich sind, dass wir noch nicht einmal zugeben dürfen, dass wir auch nur an ihnen interessiert sind, um kein öffentliches Ärgernis zu erregen. Bücher, die, aus dem einen oder anderen Grunde, nie hätten geschrieben werden sollen.“
(Kardinal Ruffo-Scilla in All-Consuming Fire von Andy Lane)
Hier sammeln wir Kurzbesprechungen von verwandten Spielen anderer Verlage, die interessant sind oder unsere eigene Spielwelt um neue Facetten bereichern oder Anregungen geben können.
Airship Pirates ist ein Steampunk-Rollenspiel nach den Motiven der Band Abney Park, die als einer der wichtigsten Vertreter der Steampunk-Musik gilt. Das dicke Hardcover (304 Seiten) wurde von Peter Cakebread und Ken Walton geschrieben und 2011 von Cubicle 7 Entertainment veröffentlicht.
Airship Pirates spielt im Jahre 2150 einer postapokalyptischen Welt, die sich auf dem Entwicklungsstand eines mit fantastischen Elementen durchsetzten “Neo-Viktorianismus” eingependelt hat – in 1880-Terminologie also ein Wert von “4” im Stellenwert für Geschichtsverlauf in Dr. Horreums Plausibilitäts-Indikator. Spielort sind die USA, Informationen zu anderen Kontinenten finden sich nicht.
Kernpunkt aller Abenteuer ist ein Piraten-Luftschiff, mit dem die Spielerfiguren unterwegs sind, um ihren Reichtum zu mehren und sich mit der (natürich ebenfalls flugfähigen) Imperialen Luftmarine auseinanderzusetzen. HInzu kommt mit Doctor Calgoris chrononautischen Maschinen ein Zeitreiseelement. Entsprechend finden sich umfassende Regeln für Luftkämpfe und Zeitreisen.
Das grundlegende Regelsystem ist Cubicle 7s “Heresy Engine”, die auch bei Victoriana und Dark Harvest Verwendung findet. Das Spiel funktioniert mit einem Würfelpool aus sechsseitigen Würfeln, dessen Umfang sich aus der Höhe der Attribute und des Fertigkeitswertes sowie der Schwierigkeit der Aufgabe ergibt. Dabei kommen schnell so große Mengen Sechsseiter zusammen, dass sich die Regeln an mehreren Stellen Gedanken um “Abkürzungen” machen, wie man vielleicht doch nicht so viele Würfel werfen muss.
Der Hintergrund ist ein wenig speziell, aber durchaus interessant. Man sollte allerdings gern mit vielen Sechsseitern umgehen, wenn man Airship Pirates spielen möchte.
Nicht nur die Fernsehserie Buffy – Im Bann der Dämonen hat ihr eigenes Rollenspiel erhalten (dazu mehr weiter unten), sondern auch ihr “Ableger” Angel. Autor des 2003 bei Eden Studios erschienen Grundregelwerks (im üblichen Hochglanzformat mit Hardcover) ist, wie auch beim Buffy-Rollenspiel, C.J. Carella. Abgedeckt sind die ersten beiden der insgesamt fünf Angel-Staffeln.
Das Spielsystem ist das gleiche wie beim Schwesterprodukt Buffy, mit einigen aufgrund der anderen Inhalte der Serie angepassten Regelmechanismen. Die beiden Systeme sind voll kompatibel und werden weiter unten beschrieben, wobei Angel (der Vorlage angemesen) eine düsterere Atmosphäre vermittelt als Buffy.
Herausheben möchte ich die Regeln für das Erstellen von Organisationen, die von den Spielern geführt werden oder denen sie angehören. Es gibt ein recht simples Punktesystem, das in drei große Gruppen von Ressourcen (Einfluss, Hauptquartier und Ausrüstung) eingeteilt ist, die wiederum mehrere Untergruppen haben (z.B. Unterwelt, Geld, Regierungsbeziehungen und Übernatürliches). Je höher die Abenteurer in der Organisation stehen, desto mehr können sie bestimmen, aber desto weniger Punkte für Ressourcen erhalten sie. Das gibt die Verhältnisse in der Serie gut wieder (wenn man mal von der fünften Staffel absieht, von der der Autor noch nichts wissen konnte), lässt sich aber auch gut auf andere Systeme oder Welten übertragen. Allein aufgrund dieses (allein schon 16 Seiten langen) Teiles der Regeln lohnt sich die Anschaffung des Bandes auch für Spieler mit nur marginalem Interesse an der Serie.
Das Kernregelwerk zur gleichnamigen Fernsehserie (damals in ihrer 5. Staffel) wurde 2002 vom amerikanischen Verlag Eden Studios veröffentlicht; der federführende Autor war C.J. Carella. Meine Version ist die Hardcoverausgabe mit 250 Seiten in Hochglanz-Farbdruck – allein optisch schon ein Fest.
Man kann die Hauptcharaktere der Serie nachspielen, aber auch eigene Figuren erschaffen. Wie die gesamten Regeln ist der Erschaffungsprozess kurz und einfach; alles wendet sich an den Rollenspiel-Anfänger, der sich mit Buffy auskennt, aber nicht mit Rollenspielen. Carella gelingt es zudem gut, den Ton der Serie einzufangen – was manchmal dazu führt, dass eine Regel doppelt so lang ist, wie sie sein müsste, damit sie „korrekt“ klingt. Mein Liebling ist die Beschreibung der dämonischen Telepathie, die in sechs Zeilen erklärt, dass Dämonen sich telepathisch verständigen können.
Das Spielsystem nutzt eine an das Thema angepasste Abwandlung von Edens Unisystem. Dieses arbeitet mit zehnseitigen Würfeln und Erfolgsstufen; die Würfel können u.U. mehrmals gewürfelt und durch Schicksalspunkte verbessert werden. Die Wirkung der Schicksalspunkte ist so stark, dass die wichtigen Handlungen häufig gelingen. Die Figuren sind unterschiedlich stark (Buffy kann nun einmal mehr als Xander), was dadurch ausgeglichen wird, dass die schwächeren Figuren über mehr Schicksalspunkte verfügen. Kleine Feinheiten wie verkürzte Spieldaten für Nebenfiguren tragen einem schnellen Spielfluss bei. Das System macht in der Umsetzung seines Schauplatzes einen sehr guten Eindruck.
Buffy hat einen gewissen Einfluss auf unser Regelsystem gehabt (z.B. die neue Regel, dass man einen Holzplock mit der Fertigkeit Dolch benutzen kann), insbesondere da die Magie der Serie der unseren sehr ähnlich ist: Ritualmagie aus Büchern mit Utensilien und teilweise längeren Zauberdauern. Besagte Magie wird im Grundregelwerk nur kurz gestreift, erfährt aber in einem Ergänzungsband namens The Magic Box eine umfassende Behandlung.
Selbst wenn man Buffy nicht kennt, mag oder spielt, kann man aus den Publikationen zu diesem Spiel einiges an Ideen ziehen.
Ebenfalls 2002 erschienen, befasst sich dieser wiederum von C.J. Carella verfasste Ergänzungsband auf 156 Seiten mit den Heldinnen der Serie: den Jägerinnen. Die Aufmachung ist ebenso ansprechend wie die aller Bände der Reihe. Und ja, der Titel ist auch eine bewusste Anspielung auf das Player’s Handbook für (A)D&D.
Etwa die Hälfte des Bandes nehmen Regelergänzungen, Rollenspielhinweise und neue Archetypen ein; diese erweitern das Buffy-Spiel, sind aber für 1880 vergleichsweise uninteressant. Dann aber scheint das Material knapp geworden zu sein (oder das Thema zu schränkt), und der Rest des Buches befasst sich mit Abenteuern an anderen Schauplätzen und in anderen Zeiten. Das ist auch für uns durchaus nützlich. (Generell sind die Anmerkungen zur Gestaltung von Abenteuern und Kampagnen in den Regelwerken übrigens gut durchdacht und hilfreich, was auch schon für das Grundregelwerk gilt.)
Drei alternative Schauplätze sind ausführlich ausgearbeitet, und einer davon (betitelt „Stakes and Six-Shooters“) führt uns ins amerikanische Grenzland, angesiedelt „irgendwann zwischen dem Bürgerkrieg und der Jahrhundertwende“, also 1865 bis 1900. Geboten wird die kleine Grenzstadt Apocalypse (es ist eine Buffy-Veröffentlichung …), die mit Geschichte, Beschreibung der wichtigen Gebäude und Nichtspielerfiguren und einer übergreifenden Handlung mit Abenteuervorschlägen daherkommt. Zudem gibt es zwei in die Zeit passende Abenteurer Archetypen: die „Cowgirl-Jägerin“ und den „Viktorianischen Wächter“. Das ist zwar alles sehr auf das „Buffyversum“ bezogen, bietet aber einen guten Einblick in die amerikanische Mentalität während des Westward Movement und lässt sich gut für 1880 anpassen.
Ob diese 18 Seiten den Kauf des nur noch antiquarisch zu erhaltenden Bandes lohnen, wird allerdings jeder selbst entscheiden müssen – Ton und Inhalte sind schon sehr Buffy-spezifisch.
Auf seinen 168 Seiten in der gewohnt beeindruckenden Aufmachung tut dieser 2003 von Thom Marrion verfasste Band genau das, was der Name andeutet: Er ist das Monster-Handbuch für das Buffy-Rollenspiel.
Nach einer kurzen Einleitung, in der unter anderem alternative Höllenmünder (darunter einer in dem bayerischen Dorf Ruhigestadt, wo immer das sein mag) und einige dämonische Ebenen beschrieben werden (das Einkaufszentrum der Hölle ist schon schräg; man ist zum Einkaufen verdammt und bekommt nie das, was man will) kommen ausführliche Einträge zu Vampiren und Dämonen, den Haupt-Gegnertypen der Serie. Das ist gut gemacht und lässt wenig Fragen offen, ist aber für unsere Zwecke kaum verwendbar, da gerade Vampire und Dämonen bei Abenteuer 1880 vollkommen anders funktionieren. Aber es hat einen legendären Eintrag zum Drachen, der für mindestens fünf Sekunden in der letzten Folge der fünften Buffy-Staffel zu sehen ist und mit der nicht minder legendären Beschreibung aufwartet: “Der Drache sieht aus wie … nun … ein Drache.”
Etwas nützlicher mag das Kapitel zu sonstigen Kreaturen sein: Geister, belebte Objekte, Poltergeister, Rachegeister (die sich als amerikanische Ureinwohner manifestieren – lange Geschichte), Zombies, Hyänenmenschen, Werwölfe, Märchengestalten, Roboter, Fischmonster und menschliche Schurken. Auch das läuft alles bei uns etwas anders (oder gar nicht, wie die Roboter), aber nicht so viel anders, als dass man sich nicht die eine oder andere Anregung holen könnte.
Letztlich gibt es ein Kapitel mit Beschreibungen und Spieldaten der wichtigen Monster der Serie (was natürlich wieder sehr spezifisch ist) sowie Regeln zum Erschaffen und Spielen von Monstern (auch als Spielerfguren, entsprechend auch eher spezifisch). Ein paar Zaubersprüche (großteils sehr spezifisch, von unserer Warte aus unbeeindruckend oder beides) sowie ein weiterer Teil der Djinn-Kampagne runden den Band ab.
Für den Buffy-Spielleiter ist dieser Band unverzichtbar (es gibt sogar eine halbe Seite – zugegebernermaßen dubioser – Hinweise, wie man ein Musical-Abenteuer gestalten kann, denn wenn das die Serie gemacht hat, kann man das auch im Rollenpiel), für Abenteuer 1880 eher nicht.
Der Magie-Quellenband zum Buffy-Rollenspiel erschien 2003 unter der Federführung von John Snead, der in der Welt des magischen Rollenspiels kein Unbekannter ist. Der Band hat 126 Seiten in der vom Grundregelwerk gewohnten großartigen Aufmachung, ist allerdings kein Hardcover mehr. Die Serie ist nun bis einschließlich der 6. Staffel abgedeckt.
Snead baut auf dem eher vagen Magiesystem der Grundregeln auf und bringt dieses in eine systematische Form. Entsprechend ist die Sprache häufig regellastiger und „sachlicher“ als die die Grundregelwerks. Es wird jeder einzelne Zauber, der bis dahin in der Serie verwendet wurde, ausführlich abgedeckt. Hinzu kommen Regeln für Beschwörungen, psionische Fähigkeiten, schnelleres Zaubern durch ausgebildete Hexen, magische Gegenstände und auch moderne Technologie wie Roboter (irgendwo mussten die wohl hin).
Die Beschreibung der Zauber ist stets sehr eng an der Serie: Wenn in einer Folge Willow und Tara einen Zauber zusammen wirken, steht unter Zahl der Teilnehmer „zwei Hexen“. Viele Formeln erfüllen in erster Linie ihre Plotfunktion innerhalb der Folge, der sie entnommen wurden, was eine Verwendung als immer wieder verwendbare Zauber erschwert. Andererseits sind die Beschreibungen der Zaubervorgänge häufig sehr atmosphärisch, und separate Listen mit magischen Utensilien und ihren Auswirkungen tragen viel dazu bei, den Band auch in anderen Welten und Systemen verwendbar zu machen.
Wie schon Airship Pirates beruhtDark Harvest auf dem Regelsystem “Heresy Engine” von Cubicle 7 Entertainment, das auch Victoriana zugrunde liegt. Grundlegend würfelt man mit vielen Sechsseitern (im Falle von Dark Harvest allerdings deutlich weniger als bei Airship Pirates), zieht ein paar andere Sechsseiter ab und zählt dann die erzielten Erfolge, um diese mit einer Tabelle zu vergleichen, aus der man den Grad des Erfolges entnimmt. „Heresy“ und wir werden sicherlich keine Freunde mehr, aber das macht ja nichts.
Dark Harvest stammt aus dem Jahr 2010 und wurde in der Hauptsache von Iain Lawson verfasst. Andere Autoren haben Kurzgeschichten und die (eher kurzen) Rollenspielregeln beigesteuert. Das Buch hat 216 Seiten Umfang im Softcover, auf den Umschlaginnenseien prangen Farbkarten des Landes, in dem die sich die Handlung abspielt: Rumänien. Oder, genauer gesagt: Promethea, im Jahr 1910.
Wie der Name Promethea schon andeutet, haben wir es hier mit einem Spiel zu tun, das sich mit Viktor Frankenstein beschäftigt, dessen Kreatur ja bereits im Titel von Mary Shelleys Roman als “der moderne Prometheus” bezeichnet wird. Hier nun gehen die Autoren von der Prämisse aus, dass Frankenstein sich über die Jahrzehnte hinweg in Rumänien eine Machtbasis aufgebaut hat, bis er schließlich die Herrschaft über das Land übernehmen konnte – und es in Promethea umbenannte.
Promethea ist vom Rest Europas abgeschottet, die Bevölkerung lebt wieder wie im Mittelalter. Einer kleinen Elite stehen allerdings moderne Entwicklungen zur Verfügung, mit denen sie allen anderen europäischen Nationen weit voraus ist. Körperliche Veränderungen durch Operationen sind an der Tagesordnung, wie man in einem Land, das von Viktor Frankenstein regiert wird, ja auch erwarten kann. Promethea ist ein sehr düsteres Land – eine klassische Dystopie.
Der Hintergrund ist stimmig gemacht. Wenn man ein bisschen mit der gelieferten Alternativweltgeschichte spielt, könnte man die gegebenen Informationen auch bei Abenteuer 1880 einsetzen (der Band gibt sogar Anmerkungen, wie man Promethea in die Welt von Victoriana einbauen kann, und da sind wir ja im Jahr 1867). Die Regeln für das Verändern menschlicher Körper durch vergleichsweise fortgeschrittene Medizin lassen sich mit wenigen Anpassungen gleich mitübernehmen. Würden wir das jemals in diesem Detail behandeln wollen, hätten wir mit Dark Harvest eine gute Vorlage.
Neben den Hintergrund- und Regelkapiteln bietet Dark Harvest auch eine literarische Komponente: Die Einleitung erfolgt in Form einer Kurzgeschichte, und im Anschluss an die Landesbeschreibung folgen fünf weitere Geschichten.
Alles in allem ist das ein sehr schöner und stimmig gemachter Band vor dem Hintergrund der Schauerromantik, aus dem man auch guten Nutzen ziehen kann, wenn man nicht mit der „Heresy Engine“ spielt.
DragonMech von Goodman Games, verfasst von Joseph Goodman und erschienen 2004, ist eine D20-Fantasy-Variante nach der Open Gaming Licence, in der nach einer Großen Katastrophe die Menschen in beweglichen Städten den Kontinent „Highpoint“ auf einer Spielwelt, die anscheinend einfach „DragonMech“ heißt, durchqueren. Diese wird seit etwa 100 Jahren von einem Phänomen heimgesucht, das „Lunarer Regen“ heißt, weil der Mond langsam auf die Welt stürzt, was sich in einem heftigen Bombardement von Meteoriten und anderem Zeugs auswirkt, was die Lebewesen der Spielwelt dazu veranlasst hat, sich auf Wanderschaft in geschützten Habitaten zu begeben – den „Mechs“. Und da der Mond nun nahe genug ist, dass seine Bewohner die Spielwelt erreichen können, erklärt sich auch der „Dragon“-Teil des Titels – denn auf dem Mond gibt’s Drachen.
DragonMech ist eine außergewöhnliche Fantasy-Variante, bei der sich alles um die über die Oberfläche wandernden Städte und ihre Probleme sowie Konflikte dreht. Insofern sind die „Mechs“ das Kernstück des Spiels. Und bei „Mechs“ reden wir von solchen in einem pseudo-mittelalterlichen und Renaissance-Stil, der durchaus Steampunk-Aspekte hat. Ein Mech kann von Dampf- oder Menschenkraft, aber auch durch Uhrwerke betreiben sein – oder selbst belebt oder gar untot. Die kleinsten Mechs sind etwas 3 Meter hoch und eher als „Beiboote“ der größeren zu verstehen; ein „Stadt-Mech“ kann eine Höhe von bis zu 500 Metern erreichen und ist damit tatsächlich eine wandelnde Kleinstadt mit bis zu 5.000 Bewohnern. Das Konzept ist faszinierend.
Ich hatte mir das Spiel ursprünglich gekauft, als ich auf der Suche nach Inspirationen zu Regeln zum Erschaffen von Automata war. Dazu sind die hier vorgestellten Mechs zu groß, aber die grundlegenden Design-Elemente sind schon interessant. Und nebenbei fiel bei der Lektüre des Bandes der Zauber Fluch des Zahnrads für das Cabinett der Curiositäten und Mirakel ab.
Man sollte sich das Buch aber auch ansehen, wenn man auf der Suche nach einer Fantasy-Welt abseits des Üblichen ist. Die D20-Regeln sind ja verbreitet genug.
Beim Aufräumen habe ich die Zweitauflage von Etherscope gefunden (Nigel McClelland und Ben Richmond, Goodman Games, 2005).
Das Spiel ist 1984 angesiedelt und nennt sich „Cyberpunk Victoriana“. Der Alternativwelt-Hintergrund ist ein bisschen dünn („Oh, wir Briten haben den Äther entdeckt, deshalb haben wir uns aus dem Ersten Weltkrieg herausgehalten, weil uns eh keiner was kann, und deshalb interessiert zugesehen, wie die Deutschen mit ihren Ätherwaffen die Franzosen weggefegt haben, und dann hatten wir 1937 diese kommunistische Revolution.“), ist aber ohnehin nur eine Beigabe für das „Ätherskop“, eine Art viktorianische Virtual Reality im Stile von „Matrix“.
Und dieser Teil des Buches ist richtig gut gemacht (wenn auch ein bisschen kurz). Man loggt sich als Avatar ein (oder indirekt über einen Fernzugang, mit dem man allerdings in der virtuellen Welt schwächer ist) und hat virtuelle Abenteuer. Man kann auch andere Figuren, die selbst keinen Zugang haben, gleichsam „huckepack“ mitnehmen. Die Idee ist richtig gut.
Der Band ist unter der Open Gaming Licence erschienen, hat also ein an D&D 3 orientiertes Regelwerk.
Girl Genius passt mit seiner Welt natürlich überhaupt nicht zu Abenteuer 1880 (wir würden sagen: Plausibilitäts-Indikation 3 bei Geschichte und Technologie), ist aber trotzdem eine schöne Lektüre. Immerhin hat es der Comic aber im Cabinett zu einem Grimoire gebracht, das natürlich schön bebildert ist … Die regeltechnische Umsetzung der Sparks (Menschen, die die Grenzen der traditionellen Wissenschaft sprengen können) ist indes gut und kurz, das kann man für Regeln “verrückter Wissenschaft” bei Abenteuer 1880 mal im Hinterkopf behalten.
Maelstrom ist ein recht altes Rollenspiel, das in den Achtzigerjahren das Licht der Welt erblickte. Ursprünglich von Alexander Scott geschrieben, legt Arion Games nun seit 2014 überarbeitete Neuauflagen des Spiels vor. Diese hier wurde von Graham Bottley geschrieben; sie erschien 2017 als Hardcover und PDF über DriveThroughRPG mit 186 Seiten.
Bei Maelstrom Gothic geht es um das Erforschen übernatürlicher Phänomene im frühen Viktorianischen England, Mitte des 19. Jahrhunderts; neben zum Spielen ausreichenden Beschreibungen dieser Zeit gibt es auch Anmerkungen, wie man andere Zeiträume im 19. Jahrhundert abdecken kann. Der Hintergrundteil steckt voll schöner Details; mein Favorit sind acht Seiten mit „Heilmitteln“ aus der Zeit, komplett mit Illustrationen aus der zeitgenössischen Werbung. Allein das lohnt schon den Kauf des Buches. Auch der Kreaturenteil ist für eine längere Kampagne angemessen umfangreich.
Das Spielsystem basiert auf Prozentwürfen gegen Eigenschaften, die durch Fertigkeitsränge modifiziert werden. Das spielt sich schnell und einfach Die Figurenerschaffung erfolgt über das „Lebenspfad“-System, in dem man sich im Sinne des Wortes durch das Vorleben seines Abenteurers würfelt, bis dieser schließlich an der Stelle seines Lebens angelangt ist, an der er sich voll der Erforschung des Übersinnlichen widmet. Dies läuft über eine Vielzahl von Tabellen, die dem Spieler praktisch keine Kontrolle über die zu erschaffende Figur lassen – selbst der Name wird ausgewürfelt. Die Beispielfigur, die uns durch den Erschaffungsprozess begleitet, beginnt als Pfarrer, wird dann Politiker und schließlich Banker. Das System führt zu Figuren, die beim eigentlichen Spielbeginn bis zu 40 Jahre alt sein können. Die eigentliche Herausforderung besteht dann darin, das erwürfelte Konstrukt mit einer passenden Hintergrundgeschichte zu versehen. An dieser Stelle merkt man dem Spiel schon an, dass es seine Wurzeln in den Achtzigern hat, wo diese Art von Tabellenwahn als letzter Schrei des Rollenspiels galt – die Älteren unter uns erinnern sich sicher noch an Bürger, Bettler, Beutelschneider für MIDGARD, welches einen guten Eindruck der Tabellenvielfalt gibt. Andererseits stecken diese Tabellen voller hübscher Ideen, die man auch bei einem etwas weniger rigiden Umgang mit der Figurenerschaffung gewinnbringend nutzen kann.
Als etwas unbefriedigend empfinde ich das Magiesystem, das sehr „frei“ daherkommt. Magie ist die Auswirkung der Einbrüche des titelgebenden „Mahlstroms“ in die Welt der Menschen, die diese mit einem Element des Chaos durchsetzt. Es gibt sieben große „Gruppen“ von Zaubern, die nach der Wahrscheinlichkeit des Effektes, den man erreichen möchte, unterteilt sind. Spieler und Spielleiter erschaffen den konkreten Zauber zusammen und bestimmen anhand von Tabellen die zu erwürfelnde Schwierigkeit. Dies kann zu so sonderbaren Ergebnissen führen, dass (und das ist ein Beispiel aus den Regeln) es einfacher ist, einen Zug entgleisen zu lassen (was beim Stand der britischen Eisenbahnen um 1850 so unwahrscheinlich ohnehin nicht sei), als eine Kerze magisch zum Leuchten zu bringen (was physikalisch ja unmöglich sei). Da muss man wohl ein wenig aufpassen.
Zusammenfassend finde ich den Hintergrundteil sehr schön, die Regeln mit ihrer stark gelenkten Figurenerschaffung und dem sehr freien Magieteil hingegen gewöhnungsbedürftig. Bereut habe ich den Kauf allerdings nicht. Graham Bottley arbeitet gerade an einem Maelstrom Roman, den ich mir natürlich sofort im Kickstarter vorbestellt habe.
Wicked Pacts: A Modern-Day Game of Magic wurde 2018 im Eigenverlag von John M. Barfield als PDF veröffentlicht, finanziert über einen Kickstarter; das Regelwerk umfasst 248 Seiten, zu denen auch ein einführendes Abenteuer gehört. Das Spiel ist in unserer heutigen Zeit angesiedelt, die um Magie und einen geheimen Krieg zwischen mehreren übernatürlichen Fraktionen angereichert ist. Der Hintergrund ist vergleichsweise düster; man kämpft auf einer der beiden Seiten der Auseinandersetzung (oder irgendwo in der Mitte), der unbemerkt vom Großteil der Menschen abläuft.
Die Regeln sind eine Eigenentwicklung des Autors. Man wählt eine Blutlinie (reinblütige Magier, gewöhnliche Magier sowie Abkömmlinge von Engeln oder Dämonen), die sich auf die Eigenschaften der Figur auswirken. Eigenschaften erreichen Werte von 1 bis 5, die zu Beginn der Charaktererschaffung durch ein Punktesystem verteilt werden. Archetypen regeln den Rest. Über ein weiteres Punktesystem wählt man Fertigkeiten und Zauber aus. Eine Fertigkeit wird über das theoretische Wissen, über das man verfügt, sowie über die Fähigkeit zu ihrer praktischen Anwendung definiert. Ersteres bestimmt, welche Arten von Würfeln (von W6 bis W10) man einsetzen kann, letzteres die Zahl dieser Würfel (1 bis 3, wobei immer nur der beste Wurf zählt). Man würfelt gegen einen zu erreichenden Zielwert, wobei der Wurf noch durch den Wert der der Fertigkeit zugeordneten Eigenschaft erhöht wird.
Eine Tarotkarte bringt ein zufällig bestimmtes übernatürliches Element ins Spiel. Zu Spielbeginn wird für jede Figur eine der Karten der großen Arkana bestimmt, die mit ihm in Verbindung steht. Zu Beginn jeder Spielsitzung zieht jeder Spieler eine weitere Karte. Eine Karte, die verkehrt herum gezogen wird, wird dem Spielleiter übergeben. Die Spieler und der Spielleiter können alle ihre Karten während des Spiels für eine Vielzahl von Bonussen verwenden, aber am Ende der Sitzung gehen alle Karten zurück in das Deck – ob sie verwendet wurden oder nicht.
Die Hintergrundkapitel befassen sich mit den Organisationen hinter dem Krieg, einigen interessanten übernatürlichen Örtlichkeiten sowie einem recht umfangreichen Bestiarium (wo sonst findet man etwas über den Chupacabra …). Das Spiel ist recht vollständig und kann die Grundlage für eine umfassende Kampagne sein. Von der Atmosphäre her erinnert es mich ein wenig an das alte Bloodshadows für MasterBook von Iron Crown Enterprises (1994), allerdings mit einem etwas konventionelleren Magiesystem.
Wolsung wurde 2009 von dem polnischen Autor Artur Ganszyniec geschrieben und 2012 in einer englischen Ausgabe erschienen; es verbindet Steampunk mit starken Fantasy-Elementen – und damit auch Magie. Das Regelwerk kommt als dickes Softcover in Buchgröße mit 510 Seiten.
Wolsung spielt in einer fantastischen Version des späten 19. Jahrhunderts, die an unsere Welt angelehnt, aber mit fantastischen Elementen durchsetzt ist. Entsprechend nimmt die Weltbeschreibung einen großen Teil des Buches ein. Neben Menschen kann man Zwerge, Elfen, Gnome, Halblinge, Oger, Orks und Trolle spielen. Als grundsätzliche Abenteurertypen stehen Draufgänger, Forscher, Ermittler und nennen wir es mal Salonlöwen zur Verfügung. Diese können durch Berufe und andere Zusatzregeln weiter entwickelt und diversifiziert werden.
Das Spielsystem arbeitet mit zehnseitigen Würfeln, mit denen man Erfolgsstufen erreichen oder übertreffen muss. Man kann Würfelergebnisse mit Zusatzpunkten, besonderen Eigenschaften und Effekten, die sich aus den Karten eines normalen Kartenspieles ergeben, verbessern. Die Regeln sind so gestaltet, dass die im Spiel wichtigen Aktionen gelingen, wenn die Spieler aufpassen und ihre Mittel richtig einsetzen.
Die Hintergrundwelt ist farbenfroh und fantasievoll, das Spielsystem schnell und spannend. Darüber hinaus gibt es eine Reihe guter Ideen, die man auch in andere Spiele übernehmen kann – beispielsweise finde ich die Technomagier, die zu Wirken ihrer Zauber moderne Technologie benötigen, ausgesprochen spannend.
Hier gibt es einen deutschsprachigen Trailer – Set für Schnellstarter.