“Gut gekleidet sein heißt: sich äußerlich in Harmonie befinden, sowohl mit sich selbst als mit der Umgebung, in welcher man weilt.”
(Johanna von Sydow, Moden- und Toilettenbrevier, 1878)
Um dieses Ziel zu erreichen, war in der Zeit vor etwa hundert Jahren noch etwas mehr Aufwand nötig als heutzutage. Dennoch trifft man auf Altbekanntes: Die Damen waren einem ständig wechselnden Mode- und Körperideal unterworfen, während die Herrenmode eher zweckmäßig und dauerhaft war.
Was zog also zunächst einmal “Mann” an? Als Unterwäsche für den Herren auf der Höhe der Zeit war die (nach dem englischen Erfinder benannte) “Jaegerkombination” beliebt: ein Hemd und eine knöchellange Unterhose, je nach Jahreszeit aus reiner Wolle, Baumwolle, oder – für Finanzkräftigere – auch aus Seide. Dazu gestrickte Socken, die mit Sockenhaltern befestigt wurden.
Das Herrenhemd hatte meist – zur Erquickung der Büglerinnen – einige Falten, ähnlich wie heute beim Smokinghemd. Der Brusteinsatz und die Manschetten wurden gestärkt (was sicher nicht unbedingt zur Wohlfühl-Kuschelweiche beitrug), die Manschetten gesondert umgelegt. Viele Herren trugen aus Sparsamkeit statt eines Hemdes über ihrer Unterkleidung ein steifes, leinernes Vorhemd im Westenausschnitt. Die in dieser Zeit beherrschende Kragenform ist der sogenannte “Vatermörder” (warum der wohl so heißt?). Aber auch andere waren – je nach Geschmack – erlaubt.
Frack und Gehrock waren die wichtigsten Oberbekleidungsstücke, seit 1867 gesellte sich dazu derSakko, der einreihig mit langen Aufschlägen und tiefem vorderem Ausschnitt getragen wurde. Die Hosen unterscheiden sich kaum von den heutigen Anzugshosen, allerdings fehlt ihnen sowohl der Umschlag als auch die Bügelfalte. In der Freizeit oder als sportlicher Herr trug man ein Sakko mit aufgesetzten Taschen und Gürtel, dazu Knickerbockers – kurze, weite Beinkleider mit abschließendem Bund unterhalb des Knies. Der Herrenanzug war meist grau, braun, schwarz oder irgendeine andere triste, aber zeitlose Farbe. Die Hosen waren manchmal gemustert, gestreift oder kariert.
Schuhe waren natürlich zum überwiegenden Teil noch handgemacht, Herren trugen Stiefel in verschiedenen Höhen, ab 1880 kamen Halbschuhe auf, die den heutigen Exemplaren fast zum Verwechseln ähnlich sehen.
Bei den Krawatten konnte “Mann” seine modische Ader voll ausleben. Die Farben und Formen des Bindens waren hauptsächlich von Geschmack und Laune des Trägers abhängig; man konnte die Krawatten auch schon fertig gebunden kaufen (so wie heute Fliegen, denen sie auch ähnlicher sahen als einem Schlips).
Auf dem Kopf trug “Mann” selbstverständlich einen Hut: je nach Gelegenheit einen Bowler, eineMelone oder einen Halbzylinder.
Wichtig war auch der Bart: er war als solcher eindeutig in Mode. Die Formen waren verschieden – und zwar nach Nationalität, denn “Mann” orientierte sich am Vorbild seines Herrschers. Ob Kaiser Napoleon III.-Zwirbel- und Knebelbart oder Franz-Joseph-Backenbart, die Treue zum Herrscher war dafür entscheidend.
Die von England diktierte Herrenmode forderte, zu jeder Stunde des Tages “richtig” gekleidet zu sein (vgl. Tabelle). Allerdings wurden die Herren auch immer unauffälliger und einander durch die farblich ähnliche Kleidung immer gleicher.
Anlaß |
Rock / Überzieher |
Weste |
Hosen |
Hut |
Hemd, Kragen |
Krawatte, Schmuck |
Handschuhe, Stiefel |
Tageshochzeit, Nachmittagsbesuch, Vormittagsempfang |
Gehrock oder Paletot | weiß oder perlfarben, Seide oder Leinen | gestreiftes Kammgarn | Zylinder mit breitem Filzband | glattweiß, Stehkragen | weiß, perlenfarben, goldene Manschettenknöpfe, Krawattennadeln usw. | weißes Leder, graue Glacéhandschuhe |
Geschäfts-, Haus- und Morgenanzug |
Jackett, Walking Coat | passend zum Rock | passend zum Jackett oder Rock | schwarz, braun; Derby oder weicher Hut | gestärkt, gefältelt, farbig; Klapp- oder Stehkragen | Four-in-hand oder Once-over; goldene Manschettenknöpfe | gestrickte Handschuhe; Schnürstiefel halbhoch oder niedrig |
Freizeitkleidung |
Norfolk oder doppelknöpfiges Jackett | Fancy-Flanell | Tweed oder Flanell | Tweed- oder Pelzmütze | Flanell, Umlegekragen | Necker-chief oder Four-in-hand, Leder-Uhrkette | Chamois, Cape Pelz; Schnürstiefel halbhoch oder niedrig |
Kirche, Promenade |
Geh- oder Morgenrock | Doublé oder passend zum Rock | gestreift, hell oder dunkel; Kammgarn | Zylinder mit breitem Filzband | glatt, weiß, Stehkragen | Once-over oder Four-in-hand; Schmuck s.o. | grau oder hell, Hirschleder; Lack- oder Lederstiefel |
Ball, Empfang, Abendhochzeit |
Frack oder Chesterfield | weiß einknöpfig; Leinen, Drill, Piqué oder Seide | passend zum Rock, mit breiten Tressen | Zylinder mit Filzband | glatt, weiß, Stehkragen | weiß oder gemustert, Leinen oder Seide; Perl, Achat, Mondstein | weiße Glacéhandschuhe; Lack- oder Lederstiefel oder Lederpumps |
Jagd, Besuch zu Hause, Diner |
schwarzes Jackett | schwarzgrau, schwarzweiß; Leinen, Seide | passend zum Jackett | Filz- oder Seiden-Derby oder Alpine | glatt oder gefältelt, weiß; Klapp- oder Umlegekragen | graue Handschuhe; Gold, Amethyst, Opal | dunkles Kalbsleder, geschnürt |
Die Damenmode war wesentlich vielfäliger als die Herrenmode. Das fing schon bei der Unterwäsche an: das Korsett war hier das tragende Teil. Es veränderte den Umriss und die Haltung der Rumpfpartie, sein Schnitt bedingte die modische Silhouette. Außerdem war es extrem gesundheitsschädlich (Quetschungen innerer Organe waren an der Tagesordnung, tödliche innere Verletzungen wie z.B. ein Milzriss zum Glück eher selten), da die Idealtaille von 1875-1881 bei 43-53cm lag (zum Vergleich: Taillenweiten bei der durchschnittlichen Damengröße 38 heute: 68-74cm). Dennoch war das Korsett “keine Modesache, sondern Bedingung der Toilette” (Sydow 1878).
Um die eng geschnürte Taille trugen die Damen einen Strumpfhaltergürtel, an dem ihre Strümpfebefestigt waren. Strümpfe mit Fantasiemuster waren “in”, auch Karos und Streifen wurden viel getragen, auch wenn – außer dem Ehemann – kaum jemand diese Strümpfe zu sehen bekam. Ab 1877 kam als Unterkleidung die Hemdhose auf, eine enganliegende, vorn durchgeknöpfte Jacke aus weißem Leinen oder Baumwolle, die über dem Korsett (von älteren oder weniger modebewussten Frauen auch anstelle des Korsetts) getragen wurde. Darüber kam dann noch ein Unterrock mit Schleppe, der am Kleidrock festgeknöpft wurde.
Ende der 1870er setzte sich in der Damenmode die “schlanke Linie” durch: also weg von den umfangreichen Krinolinen (d.h. Reifrock) hin zu einer körperbetonteren Mode. Durch eine lange, angeschnittene Schleppe wurde die schlanke Silhouette noch betont. Die Kleider wurden praktisch auf den Leib genäht und waren teilweise so eng, daß die Damen nicht zu essen wagten. Man sagte, daß eine wirklich elegante Dame sich die Knie beim Gehen zusammenbinden müsse, sonst sprenge sie ihr Kleid. Die Kleider waren reichlich aufgeputzt mit Stickereien, Rüschen, Fransen, Spitzen, Schleifen und so weiter. Das Oberteil war lang und stark geschnürt, der Ausschnitt viereckig. Schärpen und Schleifen setzten die Taille vom Rock ab; die Farbe des Aufputzes wurden gerne in Farben gewählt, die von der des Kleides abstachen.
Diese Mode dauerte von 1875 bis 1882, ab 1882 wurden wieder Reifengestelle unter den Röckengetragen (zusätzlich zu der oben beschriebenen Unterwäsche): der Cul des Paris kam auf. Er blieb bis 1890 in Mode und wölbte das Hinterteil der Damenwelt künstlich vor. Mit dem Cul de Paris erschienendrapierte Röcke, bei denen die Drapierung den Aufputz verdrängten. Man kombinierte Kleider gern aus verschiedenen Stoffen der gleichen Farbe, z.B. Samt und Tuch oder Seide und Tuch. Plisseeröckekamen in Mode, sie wurden in vielen Falten gerafft und mit Volants (angekrauster Stoffbesatz) versehen.
Dazu trug “Frau” ein glattes, enganliegendes Oberteil. Dieses war hochgeschlossen, lang, spitzgeschnürt und trug als einzige Verzierung zahlreiche Knöpfe. Die Ärmel waren lang und eng, hin und wieder auch halblang. An Ballkleidern fehlten sie und wurden durch ein Band markiert, das über die Achsel lief. Zu diesen Kleidern trugen die Damen meist Stiefeletten, darüber Viereckstücher, Umhänge, Jacken und gefütterte Mantelkleider. Ab 1880 kam auch als praktischere Kleidung für berufstätige Frauen das Kostüm auf (Rock, Bluse und Jacke), das – zusammen mit dem Paletot (dreiviertellanger Mantel) als Überbekleidung – immer mehr an Boden gewann.
Wichtig war natürlich für die Damenmode auch die Frisur – das Haupthaar galt (wie Sydow 1878 bemerkte) als “der schönste Schmuck des Weibes”. In den 1870ern und 1880ern waren hohe, reicheLockenfrisuren in Mode, die oft mit falschen Haarteilen aufgepolstert wurden. In der Frisur trug man den Kopfputz, der aus Blumen, Federn, Goldfäden und allem, was einem sonst noch einfallen mochte, bestand.
Im Freien trug auch die Dame einen Hut, dessen Form, Garnitur und Größe von Saison zu Saison wechselte. Über längere Zeit beliebt waren kleine Krempenhüte, bei denen die Krempe hochgeschlagen war und die mit Bändern, Blüten oder Federn garniert wurden.
Bei den Farben war die Wahl der jeweiligen Dame überlassen, wobei Ältere sich auf gedeckte Farben zu beschränken hatten (Lila war das farbenfrohste), wenn sie nicht als exzentrisch gelten wollten.
Unentbehrliche Accessoires waren der Handschuh, dessen Farbe und Material vom Anlaß bestimmt wurde, der Sonnenschirm, Fächer, außerdem Tasche und Körbchen, die auch zu Zwecken der Koketterie ausgenutzt wurden – es gab beispielsweise eine “Fächersprache”, mit der man Mitteilungen galanter Art machen konnte.
Für das späte 19. Jahrhundert können wir wohl mit Johanna von Sydow zusammenfassend sagen: “Wie die Menschen denken, so kleiden sie sich.”
In den ländlichen Gebieten machte nur ein äußerst geringer Teil der Bevölkerung die jeweilige Mode mit. Hier waren lokale Trachten beherrschend, die es als praktische Alltags- und Arbeitsversion sowie als prächtige Feiertagstracht gab.
(Antje Klos)