Paradigmata der Magieanwendung: eine kurze Zusammenfassung

Paradigmata der Magieanwendung: eine kurze Zusammenfassung

„Für eine solche grundsätzliche, umfassende Art des Denkens habe ich, analog zur antiken griechischen Rhetorik, den Begriff des Paradigmas geprägt. Übersetzt bedeutet er „Beispiel“, „Vorbild“, „Muster“ oder ‚Abgrenzung‘, ‚Vorurteil‘; auch ‚Weltsicht‘ oder ‚Weltanschauung‘. Die Griechen verstanden darunter eine Begebenheit, die als positiver oder negativer Beleg für eine dogmatische Argumentation oder eine Morallehre angeführt wird. Seit den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts steht das Wort in der Definition von Georg Christoph Lichtenberg für eine bestimmte Art der Weltanschauung oder eine Lehrmeinung. Nach Ludwig Wittgenstein sind Paradigmata Muster oder Standards, mit denen Erfahrung verglichen und beurteilt wird. Sie liegen vor der Erfahrung und geben eine Orientierung vor. Ich nun bezeichne damit die Gesamtheit von Grundauffassungen, die in einer historischen Zeit eine wissenschaftliche Disziplin ausmachen. Namhafte Beispiele für eine solche ‚grundlegende Weltsicht‘ wären das geozentrische Weltbild oder das heliozentrische Weltbild. Diese Grundauffassungen legen fest, welche Fragestellungen wissenschaftlich zulässig sind und was als wissenschaftlich befriedigende Lösung angesehen werden kann.“

(aus Prolegomena zu einer unifizierten Theorie der industriellen Arkanizität von Dr. Friedhelm Federstiel, geschrieben um 1897)

Hier fassen wir die Magieparadigmata zusammen, wie sie Dr. Friedhelm Federstiel in seiner Schrift Prolegomena zu einer unifizierten Theorie der industriellen Arkanizität vorgestellt hat, und weisen ihnen grobe Jahreszahlen bzw. historische Epochen zu. Zu beachten ist hierbei, dass es zeitlich gesehen keine eindeutige Trennung zwischen den einzelnen Paradigmata gibt: So mag in großten Teilen der Antike das Griechisch-Römische Paradiga vorherrschend sein, doch existieren parallel das Germanische und das Drudische Paradigma (und auch schon die vorislamischen Teile des Islamischen Paradigmas; zudem kommt das Christliche Paradigma schon in der Spätantike auf, spätestens seit dem Constantinischen Toleranzedikt im Römischen Reich 313 n.Chr. Und das Romantische Paradigma überschnedet sich zeitlich mit dem Industriellen Paradigma, da ersteres im Prinzip eine Reaktion auf letzteres ist. Und nur weil die Zeit eines Paradigmas offiziell vorbei ist, heißt dies noch nicht, dass es nicht immer noch Anwender dieser Magieausrichtung gibt.

 

Urtümlich: Hierunter fassen wir jegliche nicht kodifizierte Magie seit der Entstehung der Menschheit, insbesondere die der Steinzeit. Gelegentlich benutzen wir diese Klasifizierung auch für spätere Zauber, die sich nicht in die bestehenden Klassifizierungen pressen lassen (z.B. solche aus Indien). Auch alle Spielarten des Schamanismus fallen bei uns unter Urtümlich.

Vorderasiatisch: Dieses Paradigma beginnt etwa 3000 v.Chr. mit den ersten Kodifizierungen der mesopotamischen Zivilisationen und erreicht seine volle Entfaltung ab etwa 2700 v.Chr. mit den Begräbnisritualen des Alten Reiches der Ägypter. Mit den den griechischen Pharaonendynastien ab 332 v.Chr. en det die Vorherrschaft dieses Paradigmas.

Jüdisch: Hierunter verstehen wir die hebräisch-wortmagische Tradition der Israeliten ab dem sechsten Jahrhundert v.Chr. auf Grundlage der Tora, der fünf Bücher Mose. Es existiert seitdem parallel zu allen anderen Paradigmata und ist auch Ende des neunzehnten Jahrhunderts noch aktiv.

Griechisch-Römisch: Dieses Paradigma beginnt seinen Aufstieg mit den oben erwähnten griechischen Pharaonendynastien in Ägypten, die das Vorderasiatische Paradigma mit der griechischen Weltsicht verbinden; es wird in der Zeit des Hellenismus im vierten Jahrhundert v.Chr. kodifiziert und zieht sich durch große Teile der römischen Epoche. Mit der Christianisierung Roms tritt es in dern Hintergrund.

Druidisch: Dieses Paradigma entstammt der zeitlich nicht näher bestimmbaren keltischen Vorzeit und ist parallel zum Griechisch-Römischen Paradigma verbreitet; Gaius Iulius Caesar bringt es mit De bello Gallico in das Licht der Öffentlichkeit. Mit der europäischen Christianisierung ab dem sechsten Jahrhundert nach Christus rückt es in den Hintergrund. Wir fassen stufen aber auch den Neo-Druidismus ab 1781 als Drudisch ein, gleichwohl es dort natürlich Einflüsse des Neo-Griechischen Paradigmas gibt.

Germanisch: Aus der Sicht des Christentums ist dieses Paradigma eng mit dem Druidischen Paradigma verwandt, unterscheidet sich davon aber durch seine eigenständige und über große Teile Europas (insbesondere Nord- und Mitteleuropa) geteilte Götterwelt und ausgeprägte Runenmagie. Auch dieses Paradigma verliert nach der Christianisierung an Bedeutung.

Christlich: Dieses Paradigma dominiert Europa spätestens seit dem sechsten Jahrhundert n.Chr. Die Katholische Kirche übernimmt viele der „heidnischen“ magischen Traditionen als „weiße“ Magie vor einem christlichen Hintergrund. Das Paradigma wird erst ab etwa 1700 durch die Aufklärung aus seiner beherrschenden Rolle gedrängt (wobei die Gegenreformation ab der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts den Einfluss der Magie auf das Christentum bereits einschränkt).

Islamisch: Dieses Paradigma wird ab 632 mit den ersten Niederschriften des Koran kodifziert; es inkorporiert vorislamische Elemente aus dem heutigen arabischen Raum. Neben den Geschichten um Dschinn und andere „Geisterwesen“ wird im Koran auch das magische Wissen der europäischen Antike übernommen. Das Paradigma existiert seitdem parallel zu den anderen Paradigmata und ist auch Ende des neunzehnten Jahrhunderts noch aktuell.

Neo-Griechisch: So wie die Renaissance das Wissen der Antike reaktivieren möchte, wiederbelebt auch das Neo-Griechische Paradigma das Griechisch-Römische, stellt es allerdings im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert auf eine reationale Grundlage. Die systematische Erforschung der Magie und ihrer Entwicklung auf wssenschaftlicher Grundlage beginnt hier.

Barock: Unter der Epoche des Barocks versteht man die Mischung zwischen Lebensgier und Todesangst von etwa 1575 bis 1770, charakterisiert durch die Betonung der Sinnesfreuden, aber auch der Regelhaftigkeit, die sich besonders stark auf die Magie ausgewirkt hat. Die meisten der wichtigen Standardwerke der modernen Magie entstehen während dieses Paradigmas. Das System der Zauberkategorien (s.u.) wird in dieser Zeit perfektioniert.

Romantisch: Diese Gegenbewegung zum Rationalismus und später der Industrialisierung ab dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts enthält auch Einflüsse des Schauerromans und eine (sehr idealisierte) Rückbesinnung auf die Traditionen des Mittelalters. Die romantische Magie ist oft naturbezogen und befasst sich mit Welten abseits der „normalen“ Welt.

Neo-Paganistisch: Vor dem Hintergrund der Romantik entfaltet sich eine Wiederbelebung alter germanischer Traditionen (insbesondere der Wikinger) ab etwa 1850, getragen in erster Linie durch Neuübersetzungen der altnordischen Sagas. Die neuen Interpretationen dieser Geschichten legen die Grundlage für die diesem Paradigma zugeschriebenen Zauberformeln, die allesamt auf der Kraft der Runen basieren.

Industriell: Dies ist die aktuellste Neuorientierung der Magietheorie nach den Umwälzungen durch die Industrialisierung, ab etwa 1850. Sie baut auf den strikten Klassifizierungen des Barocks auf, setzt aber zugleich einen Schwerpunkt auf die Entwicklungen der modernen Technik und ihren Einsatz in der Magie. In einigen der Zauber dieses Paradigmas scheinen Magie und Technik zu verschmelzen.

Zum Autor

Doktor Friedhelm Federstiel ist Doktor der Thaumathologie und für alte Sprachen. Der Forschungsreisende ist durch eigenes Vermögen unabhängig und arbeitet an einem neuen, umfassenden Werk, mit dem er seine Thesen belegen möchte. Er lebt und arbeitet in seiner Villa tief im Wald am Fuße des Untersberges in den Berchtesgadener Alpen.

 

Und als Ergäzung: Zauberkategorien

 

Kategorie ist ein alter, zum Handlungszeitpunkt von Abenteuer 1880 eigentlich nicht mehr gebrauchter Ausdruck. Er bezieht sich auf das aus der Antike übernommene, in der Neo-Griechischen Epoche erstellte und im Barock perfektionierte System der Einstufung von Zaubern nach ihrer Anwendung bzw. ihrer Wirkungsweise. Der letzte prominente Vertreter der Kategorienklassifizierungstheorie war Richard Ewinedd – der die etwas aus der Reihe fallende Kategorie der Zeitmagie eingeführt hat –, aber der ist verschollen.

Heutzutage hat die Theorie der Paradigmata die Rolle der Kategorien übernommen. Die Klassifizierung ermöglicht es uns aber, im Regeltext manchmal ähnliche Zauber zusammenzufassen (z.B. „alle Illusionszauber“ oder „die Zauber der Zeitmagie“). Für von einem Fantasy-Rollenspiel kommende Leser, für die das Paradigmata-Modell ungewöhnlich erscheinen mag, liefert die Kategorie zudem einen ersten Ansatzpunkt, auf Grundlage einer „gängigeren“ Einteilung die Wirkung und Funktion eines Zaubers einzuschätzen. Dabei haben wir stark vereinfacht – das volle Modell der Klassifizierung des Spätbarocks (z.B. die Unterteilung von Veränderungs-Zaubern in Abänderung, Ergänzung, Umwandlung, Veränderung, Vergrößerung, Verminderung, Verwandlung und Zerstörung) ersparen wir dem Leser.

 

Beschwörung: Zauber, die Wesen, Gegenstände oder Energie aus anderen Dimensionen herbeirufen

Bewegung: Zauber, die Reisen im tatsächlichen oder übertragenen Sinne ermöglichen

Bezauberung: Zauber, die den Geist eines Wesens beeinflussen oder kontrollieren

Elementar: Zauber, die die Kräfte der Elemente nutzen

Heilung: Zauber, die Verwundungen oder Krankheiten heilen

Illusion: Zauber, die den Verstand eines Wesens täuschen

Information: Zauber, die Informationen beschaffen oder die Beschaffung von Informationen verhindern

Metamagie: Zauber, die andere Zauber beeinflussen, verändern, beeinträchtigen oder aufheben

Schutz: Zauber, die Schutz vor anderen Zaubern oder vor körperlichen Angriffen bieten

Veränderung: Zauber, die Wesen oder Gegenstände physisch verändern

Zeit: Zauber, die in den Lauf der Zeit eingreifen

 

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