Weltanzeiger

Weltanzeiger

„Drei feindliche Zeitungen sind mehr zu fürchten als tausend Bajonette.“

(Napoléon Bonaparte)

 

Globale Ereignisse auf einen Blick: Depeschen unserer Correspondenten aus aller Welt

Die Weltanzeiger ist das einzige offizielle Mitteilungsblatt der “Gesellschaft der Abenteurer 1880” und wird selbigen unter der Protektion des Reichskanzlers von Bismarck im Rahmen einer zeitgemäßen Ergänzung telegrafischer Mitteilungen zugestellt. Für die Richtigkeit der Angaben garantieren die Redakteure respective deren Gewährs- und Mittelsmänner. Herausgegeben und verlegt zu Mainz und Luxor.

 

Kumamoto, Japan – 1877

Nach einigen Unruhen in den vergangenen Jahren haben sich aufständische Samurai des kaiserlichen Arsenals in Kagoshima bemächtigt und belagern die Burg Kumamoto. Die kaiserliche Regierung hat bereits Truppen in Marsch gesetzt, um die Belagerung aufzuheben. Zwar ist zu erwarten, daß die Regierung diesen Aufstand ebenso erfolgreich niederschlagen wird wie die Aufstände der Jahre 1874 und 1876, europäische Reisende werden trotzdem angehalten, sich vor fremdenfeindlichen Übergriffen in Acht zu nehmen.

 

Territorium von Neu Mexiko – 1878

Nach einer fünftägigen Schießerei wurde das Haus des Anwaltes McSween von Sheriff George Peppin und seinen Helfern eingenommen. McSween und einige andere Mènner kamen dabei zu Tode. Der Anlass der Auseinandersetzung, der flüchtige Mörder William Bonney, genannt Billy the Kid, konnte entkommen. Man darf gespannt sein, wer sich das hohe Kopfgeld für diesen Desperado verdienen wird.

 

Frankfurt am Main – 1878

Der Privatdozent Dr. Frank Friedberger legte in einer Vortragsreihe überzeugend dar, warum die zehn verschollenen Stämme Israels im ehemaligen Reich der Königin von Saba, dem heutigen Abbessinien, vermutet werden müssen. Dem Vernehmen nach ist es ihm dabei gelungen, die Unterstützung einflussreicher Finanzkreise der Stadt für sein Vorhaben zu gewinnen, seine Thesis mit einer Afrikaexpedition zu erhärten. Dr. Friedberger sucht nun noch unternehmungslustige Freiwillige, die sich seiner Expedition anschließen.

 

Köln am Rhein – 1878

Dr. Friedrich B. Gutshoff beklagte in einer Streitschrift, daß sich die deutsche Altertumsforschung, von dem Beispiel Heinrich Schliemanns angeregt und dem Goldglanz der klassischen Antike verblendet, übermäßig der Erforschung des Mittelmeerraumes widme. Man solle vielmehr von Herrn Schliemann lernen, daß die alten Sagen einen wahren Kern enthielten – dies aber auf den deutschen Sprachraum anwenden. Welchen deutschen Forscher könnten noch die Gräber der Griechen locken, wenn der Hort der Nibelungen noch immer im Rhein schlummere, Laurins Rosengarten für immer verborgen zu sein scheint und sich die Spur des Heiligen Grals in den Jahrhunderten verliert!

 

Kairo, Ägypten – 1879

Der ägyptische Khedive Ismail ist auf Druck von englischer und französischer Seite zurückgetreten. Sein Nachfolger ist sein siebenundzwanzigjähriger Sohn Tewfik. Man kann davon ausgehen, dass sich der neue Herrscher der wohlwollenden Einflussnahme der europäischen Mächte gegenüber aufgeschlossener zeigen wird als sein Vater. Darum ist zu erwarten, dass nun Reisende und Forscher in Ägypten ebenso unbelästigt bleiben wie die europäische Kontrolle über den wichtigen Kanal von Suez. Der zurückgetretene Khedive hat sich mit seiner restlichen Familie und – wie man erzählt – einem großen Harem nach Neapel ins Exil begeben.

 

Kapstadt – 1880

Erstaunlicherweise ist es dem britischen Weltreich noch immer nicht gelungen, den Widerstand der Buren zu brechen. Die Blüte der britischen Armee wird in diesem entlegenen Weltwinkel zusammengezogen, um eine Handvoll einfacher Jäger und Farmer dem Willen der Krone zu unterwerfen. Zwar verkünden Kreise der britischen Armee, die Buren würden binnen kürzester Zeit unterworfen sein, doch bleiben noch einige Fragen offen. Vor allem diese: Wie verhalten sich die Zulus, die noch im letzten Jahr eine britische Armeekolonne vernichtet haben ?

 

Kapstadt – 1880

Die vormalige französische Kaiserin Eugènie ist gewillt, jenen Platz aufzusuchen, an dem ihr Sohn Louis im Vorjahr bei Isandhlwana gegen die Zulus gefallen ist. Nachdem ihr die angekündigte britische Eskorte möglicherweise verweigert wird, da sich die Lage im Kampf gegen die Buren noch nicht hinreichend geklärt hat, sucht Ihre Majestät unter den anwesenden Europäern nach entschlossenen Männern, die sie in die Wildnis begleiten.

 

Santiago de Chile – 1880

Die chilenische Staatsführung bestätigt erneut, dass ihre Armee im Krieg gegen die Nachbarstaaten von Bolivien und Peru weit in das Andenhochland vorgedrungen sei. Meldungen über die Entdeckung intakter, bislang verschollener Städte der Inka oder gar das Auffinden des sagenumwobenen “Paititi” wurden von offizieller Seite allerdings dementiert.

 

Berlin – 1880

Der berühmte Arzt Dr. Rudolf Virchow besuchte im Vorjahr den gefeierten Privatgelehrten Heinrich Schliemann bei dessen erneuten Ausgrabungen in Troja. Unserem Correspondenten teilte er mit, dass Herr Schliemann sowohl dort wie auch in Mykene und Tyrins noch weitere Funde erwarte, welche die Welt in Erstaunen setzen würden.

 

Essen – 1880

Bei einer Vorstellung der neuesten Geschütze der Firma Krupp waren neben namhaften Militärs aus dem In- und Ausland auch der japanische Botschafter nebst einiger japanischer Offiziersanwärter anwesend. Die Qualität der deutschen Geschütze lobend, wies Seine Excellenz auch darauf hin, daß die derzeit an der preußischen Kriegsakademie ausgebildeten zukünftigen Führer der japanischen Armee dort ebenso ausgezeichnete Fortschritte machen wie ihre Kameraden in England, die dort zu Marinesoldaten ausgebildet werden. Seine Excellenz gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich die ruhmreiche Tradition der Samurai auf das Vorteilhafteste mit Disziplin und Schulung der abendländischen Kriegskunst verbinden werde.

 

Luxor, Ägypten – 1881

Der deutsche Ägyptologe Eml Brugsch-Bey hat in einer Höhle unweit des Tals des Könige auf dem Ostufer von Luxor vierzig verschollene Königsmumien sichergestellt. Diese waren von der für ägyptische Verhältnisse professionell organisieren Familie der ar-Rassuls aus ihren Gräbern geholt und ihrer wertvollen Schmuckbeigaben beraubt worden. Beobachter sind voll des Lobes für Brugsch und seinen entschlossenen detektivischen Einsatz. Einer seiner Verrauten teilte unserem Correspondenten mit: “Die Grabbeigaben sind sicherlich alle schon in den Schwarzmarkt gegangen. Wir versuchen uns an der Wiederbeschaffung, aber das wird schwer. Sehr schwer.”

 

Wien – 1881

Der österreichische Kronprinz Rudolf steht im Begriff, im Frühjahr eine Orientreise angetreten, die ihn mit standesgemäßem Gefolge durch Ägypten und nach Jerusalem führen soll. Derzeit werden die letzten Vorbereitungen für die Expedition getroffen. Rudolf, der im Mai Prinzessin Stephanie von Belgien heiraten soll, ließ unserem Correspondenten mitteilen, dass ihn als passionierten Jäger in erster Linie die Tierwelt des Landes am Nil interessiere.

 

Berlin – 1881

Das “Spree-Chicago” wird immer mehr zu einem Vorreiter der technologischen Entwicklung. Kürzlich wurde dort die erste elektrische Straßenbahnlinie eröffnet, was einen öffentlichen Personenverkehr ohne die Belästigung durch en ewigen Rauch der Dampfmaschinen ermöglicht. Ebenso hat die Stadt als erste im deutschen Reich ein Ortstelephonnetz eingerichtet. Die Zahl der Sprechstellen liegt bei 48. Bis zum Jahresende rechnet man mit einer Ausweitung auf die immense Zahl von 500 Anschlüssen! Wo soll das noch enden?

 

Windsor, England – 1882

Attentat auf die Königin! Nur knapp ist die britische Königin Viktoria auf dem Weg vm Bahnhof in Windsor zu ihrem Schloss einem heimtückischen Attentat entgangen. Robert MacLean, der mit den Unruhen in Irland in Verbindung gebracht wird und als Vertreter der Irish Home Rule gilt, feuerte einen Schuss auf die Monarchin ab, verfehlte sie aber. Sofort danach wurde er von einer aufgebrachten Menge überwältigt, zu der auch zwei Schüler des nahegelegenen Eton gehörten, die ihn mit ihren Regenschirmen in Schach hielten. “Das kann er doch nicht machen”, teilten sie unserem Correspondenten mit, “das ist doch unsere Königin. Und seine auch!”

 

Wien – 1882

Dem Vernehmen nach beabsichtigt Kaiser Frank Joseph I., anlässlich des fnfhundertjährigen Jubiläums der Herrschaft der Habsburger über Triest diese Stadt zu besuchen. Ob dies eine weise Entscheidung ist, wird von manchen dem Kaiser nahen Kreisen bezweifelt. Die Warner befürchten anti-österreichische Kundgebungen, wenn nicht gar schlimmeres. Es heißt, der Personenschutz um den Kaiser solle für die Reise aufgestockt werden.

 

Alexandria, Ägypten – 1882

Die Krise um die schwächelnden Finanzen des  nominell dem Sultan des Osmanischen Reichs unterstellten Ägypten scheint sich zuzuspitzen. Sowohl England und Frankreich befürchten, ihre immensen Ausgaben bezüglich dieses Lanes zu verlieren, was nicht zuletzt auch die Frage der Kontrolle  über den für Großbritannien so wichtigen Sueskanal aufwirft. Zwar haben sich die Franzosen unter ihrem neuen Premierminister Freycinet von der Idee einer militärischen Intervention abgewandt, aber unsere Correspondenten erhalten Berichte, dass Einheiten der britischen Flotte nach wie vor angriffsbereit vor Alexandria liegen. Der britische Premier Gladstone hat in mehreren Communiques durchblicken lassen, dass er die “Unbotmäßigkeiten” des ägyptischen Kriegsministers Arabi nicht durchgehen lassen wird. Unsere Correspondenten sind vor Ort und werden weiter berichten.

 

Paris und Berlin – 1883

Frankreich hat weitere Schritte unternommen, seine kolonialen Besitzungen zu vergrößen. Sowohl die östlich von Afrika gelegene Insel Madagaskar als auch das interindische Annam wurden zu “Proketoraten” erklärt. Während man in Großbritannien dem Vernehmen nach diesen Schritt mit einer gewissen Sorge liegt, werden im Deutschen Reich die Rufe immer stärker, dass man auch ein Stück des “kolonialen Kuchens” abbekommen möchte. Unseren Correspondenten ist zu Ohren gekommen, dass Reichskanzler von Bismarck, gleichwohl der kolonialen Frage eher abgeneigt, heimlich an der Vorbereitung einer Konferenz arbeite, die die friedliche Verteilung der Kolonien unter den europäischen Großmächten regeln soll.

 

Amsterdam – 1883

Auf der Weltausstellung in Amsterdam hat ein Pariser Parfumeur eine kosmetische Neuigkeit vorgestellt, über deren Sinn man trefflich streiten kann: Ein sogenannter “Lippenstift” soll es Frauen ermöglichen, ihre Lippen auf einfache Art und Weise einzufärben. Der in Seidenpapier eingewickelte Stift besteht aus einer Mischung aus gefärbtem Rizinusöl, Hirschtalg und Bienenwachs. Sieht man davon ab, dass die gesundheitliche Frage dieses Produktes noch vollkommen ungeklärt ist – wer gibt Geld im Wert von 100 Reichsmark für einen solchen fast schon sündhaften Zweck aus? Gibt es für unsere Frauen keine anderen Möglichkeiten, sich gefällig darzustellen?

 

Bayreuth – 1883

Nach dem Tode Richard Wagners im Februar in Venedig ist nun geklärt, wer seine Nachfolge als Leiter der Bayreuther Festspiele übernehmen soll. Genauer gesagt; Es wird eine Leiterin werden – seine Witwe Cosima. Unserem Correspondenten verriet sie, dass sie große Pläne mit dem Erbe ihres Mannes hat, dass sie in unveränderter Form einem weltweiten Publikum präsentieren möchte. Ihre Funktion beschrieb sie als die einer “Gralshüterin”. Es bleibt abzuwarten, wie sie mit dem sehr komplexen Erbe des nicht unumstrittenen Komponisten umgehen wird.

 

Oxford – 1884

Nach langjähriger Vorbereitungszeit ist am 1. Februar unter der Redaktion des Oxforder Philologen und Lexikografen Jemy Murray der erste Band eines geradezu bahnbrechenden Buches erschienen: das sogenannte New Englisch Dictionary. Das Ziel des Werkes, dessen Abschluss noch in zweiter Zukunft liegen dürfte, ist es, den gesamten englischen Wortschatz seit dem 9. Jahrhundert einschließlich aller bekannten Wortbedeutungen, -varianten und -verwendungen darzustellen – und das mit Textbelegen! Der erste Faszikel umfasst umfasst auf 352 Seiten die Einträge von A bis Ant in einer Ausführlichkeit, die man bislang noch nie gesehen hat. “Ich denke nicht, dss das Werk noch vor Ablauf des Jahrhunderts fertiggestellt sein wird”, verriet Herr Murray unserem Correspondenten. “Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich seine Fertigstellung noch erleben werde.” Wir wünschen auf jeden Fall gutes Gelingen!

 

Washington, USA – 1884

Erstaunliche Kunde kommt aus den USA, wo auf einem Meridiankongress eine Übereinkunft bezüglich einer einheitlichen Einteilung der Weltzeit in verschiedene sogenannte “Zeitzonen” beschlossen worden ist. Man hofft, dass dies in Zeiten des Telegrafen und des schnellen internationale oder interkontinentalen Zugverkehrs das Zeitenchaos beendet. Als Ausgangspunkt (“Nullmeridian”) wurde der Meridian von Greenwich bei London gewählt. Daauf aufbauend gibt es nun “Bezugslängengrade”, die allesamt ganzzahlige Vielfache von 15° mit Bezug auf den Greenwicher Meridian (75°, 90°, 105° und 120° West) sind. Unser Correspondent, der der Konferenz beiwohnte, telegrafierte uns, das läse sich alles viel komplizierter, als es wirklich sei. Wenn es denn funktioniert, sollte man nun in der Lage sein, zu jedem Moment die genau Zeit an jedem Ort der Welt zu ermitteln. Welch wundersamer Fortschritt!

 

Berlin – 1884

Während in Berlin die Vorbereitungen zu einer großen Konferenz der europäischen Mächte laufen, während derer die koloniale Aufteilung Afrikas friedlich geregelt werden soll, ist nun auch das Deutsche Reich in das Kolonialrennen eingestiegen und hat sich, insbesondere dank der Anstrengungen von Carl Peters, durch Verträge mit örtlichen Herrschern große Gebiete in Kamerun, Ost-Afrika und Südwest-Afrika als Protektorate gesichert. Auf einer Karte des “Schwarzen Kontinents” mögen diese Gebiete vergleichsweise klein aussehen, und doch umfassen sie eine Landmasse, die sieben Mal größer ist als die des Reiches! Das deutsche Kolonialabenteuer kann beginnen!

 

Khartum, Afrika – 1885

In der namentlichen Stadt im Sudan ist der tapfere britische Offizier Charles George Gordon, der sich bereits in den Sechzigerjahren bei der Niederschlagung des Taiping-Aufstandes den Ehrennamen “China-Gordon” erworben hat, nach einem harten Kampf von den Truppe des sogenannten “Mahdi”, eines religiösen Fanatikers aus der islamischen Welt, auf grausame Weise getötet worden. Ganz Großbrigannien trauert – und ruft nach Vergeltung, um den nun für das Empire verlorenen Sudan wieder zurükzugewinnen.

 

London – 1885

Eine selbst für Engländer sonderbare Idee kommt aus London: Die bereits 1863 gegründete Football Association, deren Aufgabe es ist, dem auf der Insel so beliebten Treten gegen einen Lederball feste, für das ganze Land geltende Regeln zu geben, hat nun die Einführung von Mannschaften erlaubt, die aus professionallen Fußballern bestehen. Noch gilt eine Gehaltsobergrenze von 10 Pfund im Monat, aber es ist schon abzusehen, dass gute Athleten diese bald überschreiten dürfen können. Man mag dabei nicht so viel verdienen wie ein erfolgreicher Profiboxer, dafür sind aber auch die Anforderungen an Körper und Geist nicht so hoch. Man wir sehen, wie viele Männer sich nun diesem neuen Broterwerb zuwenden – und ob diese Welle auch nach Europa schwappt.

 

Stockholm – 1885

Der schwedische Erfinder Thorsten Ernst Nordenfelt hat den Prototyp eines Schiffes zu Wasser gelassen, das mit Dampf betrieben wird – und bis zu fünf Stunden unter Wasser verbringen kann. Die Nordenfelt I., so der Name dieses “Unterseebootes”, ist 19,50 Meter lang und wiegt 56 Tonnen. Über Wasser erzielt sie eine Höchstgeschwindigkeit von  9 Knoten (etwa 16 Stundenkilometer), unter Wasser dank zweier Dampfspeicherbehälter immerhin noch 3 Knoten (etwas mehr als 5 Kilometer pro Stunde). Für den Kampf verfügt das Schiff über ein Nordenfelt-Maschinengewehr vom Kaliber 25,4 mm sowie ein Torpedorohr. Sollte dieses Gefährt die in es gesetzten Erwartungen erfüllen, dürfte dies den Seekrieg revolutionieren. Bislang hat allerdings einzig die griechische Marine Interesse angemeldet.